Michael Struck-Schloen; Foto: Gregor Baron

Musikserie ab 7. Januar 2024 - Das Bach-Erlebnis

Einführung zur Sendereihe in 26 Folgen von Michael Struck-Schloen

So wie viele Kinder ihre Liebe zur Oper durch Mozarts völlig überdrehte und doch rätselhaft weltweise "Zauberflöte" entdeckten, gibt es für die meisten, denen klassische Musik nicht völlig gleichgültig ist, ein Bach-Erlebnis. Goethe genoss es, wenn ihm der junge Mendelssohn am Klavier Bach vorspielte, der Gottesleugner Friedrich Nietzsche kam durch die "Matthäus-Passion" der christlichen Botschaft wieder ein Stück näher. Selbst der "dirty poet" Charles Bukowski bedauerte, dass die Jugend eher dem Baseballstar Willie Mae als Johann Sebastian Bach zujubelte. Und nach einer Umfrage des Musikmagazins Rolling Stone zum Musikgeschmack von Bundestagsabgeordneten liegt Bach weit vor Mozart und Beethoven.

Unergründlich wie der Ozean

Man muss offenbar kein Berufsmusiker sein, um bei Bach eine nie mehr erreichte Einheit von Fantasie, Ordnung und Herzblut zu bewundern. "Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen" ‒ dieser Beethoven zugeschriebene Ausspruch bringt uns auf die Spur: Bachs Musik ist nie starr, sondern sie fließt, breitet sich unaufhörlich aus, ist in ihren Dimensionen unergründlich wie der Ozean ‒ ist, um das Bild abzurunden, universal.

Obwohl der Mensch Bach seinen Umkreis in Thüringen und Sachsen kaum verlassen hat, nahm seine Musik viele Einflüsse auf: französische und italienische, archaische und moderne, gelehrte und populäre. Die meisten Formen und Gattungen hat er systematisch und oft experimentell ausgelotet, von der Tanzsuite bis zur Fuge, von der Orgelpassacaglia bis zur großen Passion.

Der größte Nonkonformist in der Musik

Einzig die Oper fehlt in Bachs Schaffen ‒ was man ihm, je nach Tendenz, als mangelnde Weltläufigkeit angekreidet oder als Redlichkeit des geborenen Kirchenmusikers hoch angerechnet hat. Dass sein Musikerleben zielstrebig auf den Leipziger Thomaskantor hinsteuerte, ist jedoch eine Mystifizierung des 19. Jahrhunderts, das den "fünften Evangelisten" Bach als musikalischen Nationalheiligen der Gründerzeit ansah.

Bach selbst hat dagegen alle möglichen Musikerexistenzen des frühen 18. Jahrhunderts ausprobiert: den Organisten und Hofmusiker, den Kantor und Konzertunternehmer, der mit seinem Collegium musicum in Leipziger Kaffeehäusern aufspielte. Und vielleicht wäre auch die Oper ein Thema gewesen, wenn man ihn im Opernmekka Dresden nicht geschnitten hätte. Bach war ‒ wie es sein kongenialer Interpret, der Pianist Glenn Gould, ausdrückte ‒ "einer der größten Nonkonformisten in der Musik, der völlig außerhalb der damaligen Entwicklung stand".

Höllisch schwer zu spielen

Der Nonkonformismus hat ihm das Überleben gesichert. "Bachs Musik lädt nicht zum Schunkeln ein", hat der Geiger Reinhard Goebel gesagt, um zu zeigen, dass Bachs Musik komplex, gelehrt und höllisch schwer zu spielen ist. Musik zum Schunkeln und Mitsingen beherrschten die Zeitgenossen Telemann und Händel einfach besser. An den inneren und äußeren Reichtum von Bachs Musik haben sie nicht herangereicht.

"Wenn man lange genug Bach gehört hatte, wollte man nichts anderes mehr hören", beschrieb Charles Bukowski sein Bach-Erlebnis. Vielen ist es ähnlich ergangen. Leuchten wir also auf rbbKultur ein wenig in Bachs Kosmos hinein. 26 Folgen sind sicher nicht genug.

Michael Struck-Schloen