"Vogter" von Gustav Möller © Nikolaj Moeller
Nikolaj Moeller
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Thriller | Berlinale Wettbewerb - "Vogter"

Bewertung:

Der dänisch-schwedische Autor und Regisseur Gustav Möller hat eine gewisse Vorliebe für in sich geschlossene Systeme. Nachdem sein letzter Film "The Guilty" in der Notrufzentrale einer Polizeistation spielte, ist sein neuer Film "Vogter" ein Gefängnisthriller.

Wie in "The Guilty" erlebt man das Personal auch hier nur im Arbeitszusammenhang, nicht privat. Im Zentrum steht die Wärterin Eva als einzige Frau in der Männerwelt der Verbrecher und Wärter. Gespielt wird sie von Sidse Babett Knudsen, die viele vor allem aus der dänischen Krimiserie "Borgen" kennen, die hier aber sehr viel härter und verschlossener wirkt - wie innerlich abgestorben.

"Vogter" von Gustav Möller © Nikolaj Moeller
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Einblicke in den Gefängnisalltag

Zunächst werden die Abläufe im Gefängnis etabliert, deren Enge durch das 4:3-Format des Films zusätzlich unterstrichen wird. Man sieht Eva morgens beim Aufschließen der Zellen, für jeden Gefangenen hat sie ein freundliches Wort, erkundigt sich anteilnehmend wie sie geschlafen haben, strahlt generell Fürsorglichkeit und Wärme aus, bietet Yoga-Kurse und Weiterbildungsunterricht an und nimmt die Beschwerden der Insassen ernst.

Animalischer Furor

Nach diesem fast dokumentarisch anmutenden Anfang ändert sich der Tonfall abrupt, als eine Gruppe Neuankömmlinge eingeliefert wird. In Körpersprache und Mimik von Eva zeichnet sich Entsetzen ab, als ihr ein junger Mann namens Mikkel auffällt, der als sehr gewalttätig beschrieben wird und in einem anderen Gefängnis einen Mitgefangenen getötet hat.

Gespielt wird er von Sebastian Bull, der tatsächlich die physische Unberechenbarkeit eines wilden Stieres verströmt, mit einem jederzeit hervorbrechenden, animalischen Furor. Gewiss niemand, den man provozieren will - doch genau das tut Eva. Sie lässt sich in den Hochsicherheitstrakt versetzen und fängt an, diesen Mann systematisch zu drangsalieren. Sie verweigert ihm seine Zigaretten, den Gang zur Toilette, spuckt in sein Essen. Bei einer Razzia schiebt sie ihm beschlagnahmte Drogen und ein Messer unter, lässt die Situation immer stärker eskalieren. Kein Zweifel: es muss eine tragische Verbindung zwischen Eva und Mikkel geben, eine schwere Hypothek aus der Vergangenheit.

Während der dänische Originaltitel "Vogter" sachlich Wärter bedeutet, gibt der ebenso einfache englische Titel "Sons" - Söhne - einen Hinweis auf die Verstrickungen von Wärter und Gefangenem, von Täter und Opfer.

"Vogter" von Gustav Möller © Nikolaj Moeller
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Die Dynamik von Schuld, Sühne und Rache

Gefängnisse sind Austragungsort für die Dynamik von Schuld und Rache, von Schuld und Sühne. Es sind Themen, mit denen sich Gustav Möller schon in "The Guilty" beschäftigt hat. Natürlich ist klar, dass Eva nicht die genreübliche, bösartige Schleiferin ist, dass sie Gründe für ihr Verhalten haben muss. Aber richtig schlüssig entfaltet der Film das nicht, zu groß ist der Kontrast zwischen Evas mitfühlend-fürsorglichem Umgang mit den Häftlingen am Anfang und ihrer Verwandlung in ein Wärter-Monster. Es ist zwar bekannt, dass Angestellte in Systemen wie Schule, Gefängnis, Polizei oder Militär zusammenhalten, sich gegenseitig den Rücken freihalten und decken, doch hier wirkt es unglaubwürdig und konstruiert - schon angefangen mit dem unwahrscheinlichen Zufall, dass Opfer und Täter im Gefängnis aufeinandertreffen.

Anke Sterneborg, rbbKultur

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