Societe Lunaire: Eugène Godecharle © Ramee; Montage: rbbKultur
Ramee; Montage: rbbKultur
Bild: Ramee; Montage: rbbKultur Download (mp3, 8 MB)

Album der Woche | 12.02. - 18.02.2024 - Société Lunaire: Eugène Godecharle - 6 Quartette für Harfe, Violine, Viola & Bc op.IV

Das Repertoire der sogenannten Einfachpedalharfe zu Zeiten Mozarts hat bislang wenige Verfechter unter den Spezialisten für historische Harfen gefunden. Der in Berlin lebende Maximilian Ehrhardt ist eine der Ausnahmen. Auf dem Debüt-Album seines Ensembles Société Lunaire stellt er den unbekannten Brüsseler Komponisten Eugène Godecharle und dessen aparte Harfenquartette vor.

Der Brüsseler Musikersohn Godecharle kam in den 1760er Jahren als Geigenstudent nach Paris und erlebte die Phase, als dort "die Harfenwelt explodierte", wie es Maximilian Ehrhardt ausdrückt. Ein Sohn des Donauwörther Instrumentenbauers Hochbrucker hatte dessen Erfindung einer mit Pedal ausgestatteten Harfe kurz zuvor an der Seine populär gemacht.

Symbol des Fortschritt

Das Instrument, dessen Vorläufer in die Antike zurückreichen, wurde zu einem Symbol des technischen Fortschritts. In seiner einfachsten Form kann man es nur in einer Tonart spielen. Am Ende des Mittelalters fügte man eine zweite Reihe von Saiten für die chromatischen Töne hinzu, und später brachte man dazu alternativ Haken an, um manuell Halbtöne erzeugen zu können. "Zu Beginn des 18.Jahrhunderts wurden dann Haken im Hals der Harfe mit Pedalen am Fuß der Harfe verbunden. Durch einen hochkomplexen Mechanismus mit tausend Einzelteilen konnte das Problem der Chromatik nun mit den Füßen gelöst werden."

Modeinstrument

Da sich viele Solisten, Lehrer und Harfenbauer in Paris ansiedelten, wurde es zum Zentrum der Harfenwelt, erzählt Maximilian Ehrhardt. „Die Harfe avancierte zum Modeinstrument und alle Damen der höheren Gesellschaftsschicht wollten Harfenunterricht haben – so dass sogar die französische Königin Marie Antoinette die Harfe lernte.“ Oft allerdings sollen die reich verzierten Instrumente nur als Dekoration in den Salons des Adels gestanden haben.

Eifriger Forscher

Der am Bodensee aufgewachsene Musiker interessiert sich sehr für die gesellschaftlichen Zusammenhänge der Musik. Er ist Doktorand an einer belgischen Hochschule und erforscht intensiv die Harfenmusik im 18. Jahrhundert – ein Repertoire, das bislang von den Spezialisten für historische Harfen weitgehend vernachlässigt wurde. Seine Forschungen befruchten wiederum sein Wirken als Harfenist – die Harfenquartette Godecharles hat er in der Bibliothek des Brüsseler Konservatoriums ausgegraben.

Gelungenes Debüt

Die Erstaufnahme des Opus 4 von Eugène Godecharle, der nach seinem Studium als Kirchenmusikdirektor und Hofviolinist in seiner Heimatstadt wirkte, resultiert nun im gelungenen Debüt-Album der Société Lunaire. Von Ehrhardt vor gut fünf Jahren gegründet, besteht das Ensemble je nach Projekt in unterschiedlicher Größe. Diesmal waren neben ihm der Geiger Péter Barczi, die Bratscherin Nadine Henrichs und die Cellistin Jule Hinrichsen beteiligt.

Aparte Musik

Vom ersten Takt an bezaubern Godecharles "Sei Quartetti per Harpa o sia Cimbalo, Violino, Viola e Basso”. Im Vordergrund vergnügen sich Harfe und Violine miteinander, während Bratsche und Cello dazu den grundierenden musikalischen Bass-Teppich ausrollen. Das Ganze strahlt eine positive Stimmung aus, und zwar vor allem dadurch – so Ehrhardt – "dass die Harfe und Violine ständig sich abwechseln, miteinander scherzen, sich übereinander lustig machen, aber auch zusammenfinden."

Musikalisches Werbeprospekt

Max Ehrhardt ist der Meinung, dass die Sammlung eine Art Werbeprospekt für das vielseitige Können des Komponisten darstellt. Jedenfalls finden sich in den jeweils dreisätzigen Quartetten moderne ebenso wie anachronistische Satzbezeichnungen. Die ausgeschriebene Kadenz nur für Harfe und Violine im B-Dur-Quartett stellt in dieser Zeit eine Rarität dar. Die Société Lunaire hat die Möglichkeiten der Werke in ihren Interpretationen unter anderem mit improvisierten Kadenzen und Variationen in den Wiederholungen auszureizen versucht.

Rokoko-Gefühl

Dennoch könnte sich bei manchem Hörer beim Anhören des ganzen Albums am Stück ein wenig ein "Rokoko-Gefühl“ des Dekorativen und Verschnörkelten ohne Extreme und Abgründe einschleichen. Schließlich sind alle sechs Quartette in Dur gehalten. Selbst Maximilian Ehrhardt befürchtete zunächst, dass die Musik allmählich eintönig wirken könnte. Inzwischen denkt er aber anders, nicht zuletzt wegen mancher Moll-Momente in den Stücken. Und außerdem, erklärt er lachend, sei er natürlich auch Harfenist – "für mich gelten da vielleicht andere Maßstäbe.“

Rainer Baumgärtner, rbbKultur