Antje Weithaas © Giorgia Bertazzi
Giorgia Bertazzi
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Pierre Boulez Saal - Antje Weithaas und Enrico Pace mit Violinsonaten von Beethoven und Schumann

Bewertung:

Antje Weithaas ist derzeit eine der angesagtesten Geigerinnen überhaupt. Mit ihrer Gesamteinspielung aller Violinsonaten von Ludwig van Beethoven – gerade ist Vol. 2 herausgekommen – hat sie absolute Maßstäbe gesetzt. Und gestern konnte man sie auch live im Pierre Boulez Saal Berlin erleben, zusammen mit ihrem Klavierpartner Enrico Pace, der kurzfristig für Dénes Várjon eingesprungen ist.

Als die erste CD von dreien der neuen Gesamtaufnahme der Beethoven-Violinsonaten mit Antje Weithaas und Dénes Várjon herauskam, hat man aufgehorcht. Das war bei einem gut gepflegten Repertoire eine Offenbarung. Wo jemand mit buchstäblich jedem Ton eine Geschichte erzählt – das packt und reißt mit. Da war sofort klar: Das ist eine neue Referenzaufnahme.

Ähnlich im Pierre Boulez Saal. Antje Weithaas nimmt jeden Ton ernst, wirft sich hinein und stellt immer wieder die Frage nach dem Wesentlichen, der Substanz. Wer das nett will, kann ja André Rieu hören. Das ist kein Chill-Sofa mit Gurkenmaske. Vielmehr fühlt man sich am Kragen gepackt und durchgeschüttelt. Hier geht es um Leben und Tod.

Beethoven für das Publikum

Antje Weithaas braucht keine Attitüde. Schon gar nicht in Beethovens "Kreutzer"-Sonate. Technisch geht sie an die Grenzen dessen, was überhaupt darstellbar ist, aber das hat den Hintergrund, sich dem Gigantomanischen bei Beethoven zu stellen, nicht mehr und nicht weniger.

Dabei kommt es ihr erkennbar darauf an, Musik nicht als Selbstzweck misszuverstehen – sie hat eine Botschaft, eine Haltung, die sie an das Publikum weitergeben möchte. Und wo im zweiten Satz ein Handy losging – ironischerweise halbwegs passend zur Tonart – wartete sie ab, bis es ausgegangen war und spielte erst dann weiter.

Die Hölle bei Schumann

Antje Weithaas geht aufs Ganze. Robert Schumanns erste Violinsonate, ein Werk, das man bislang als leicht melancholisch und als schönen Beitrag zur Hausmusik verstehen konnte, deutet sie als Musik voller Einsamkeit und Verlorenheit. Ihre Fähigkeit, mit einem einzigen Ton die Hölle zu evozieren, taucht die Musik in höchste Emotionalität. Sie beherrscht nicht nur das gesamte Spektrum gestalterischer Meisterschaft – sie setzt es auch gnadenlos ein.

Und sie hat sich in der letzten Zeit klar an die Spitze katapultiert. Klar – andere sind prominenter, und allzu viel PR ist eben nicht ihre Sache. Aber sie lässt sich nicht verbiegen, glücklicherweise – Hochglanz können andere, und wer billigen Schönklang will, muss woanders hingehen. Antje Weithaas, und das steht fest, ist nicht einfach eine Geigerin, sie ist eine Musikerin, und derzeit einer der besten.

Enrico Pace als Retter

Nun musste Dénes Várjon krankheitsbedingt absagen – gerade er, mit dem Antje Weithaas diese wunderbare Beethoven-Einspielung herausgebracht hat. So kurzfristig einzuspringen, und das Programm weitgehend zu übernehmen – dafür gebührt Enrico Pace Hochachtung.

Einen schweren Stand hatte er natürlich – Antje Weithaas ist als Musikerin nicht gerade pflegeleicht, und im ersten Teil hat er sie solide begleitet – da hätte sie einen selbstbewussteren Widerpart gebraucht, aber das wäre in der kurzen Zeit kaum auszutarieren gewesen.

Umso mehr horchte man auf, wie er nach der Pause in Beethovens "Kreutzer"-Sonate alle Höflichkeit abgelegt hat und mit Antje Weithaas in einen wirklichen Dialog gegangen ist. Das war ein Wechselspiel, bei dem man plötzlich die Ohren aufgestellt hat und das man so schnell nicht vergisst.

Andreas Göbel, rbbKultur