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Wiedereröffnung des Berliner Landesmuseums für Moderne Kunst - Berlinische Galerie: Nasan Tur und Julius von Bismarck

Seit Anfang Februar war Berlins Landesmuseum für Moderne Kunst, die Berlinische Galerie, geschlossen. Um das Haus nachhaltiger zu machen, wurde die gesamte Beleuchtung auf LED umgestellt. Zur Wiedereröffnung präsentiert das Museum u.a. zwei Ausstellungen zweier Künstler, die sich mit dem machtvollen Verhältnis des Menschen zur Natur beschäftigen: Nasan Tur und Julius von Bismarck.

Zwei nicht mehr ganz junge Künstler – Julius von Bismarck ist Anfang, Nasan Tur Ende 40 – beide leben und arbeiten in Berlin: Man könnte weitere Parallelen zwischen ihren Arbeiten ziehen, doch dass Sie nun in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander ausstellen, folgt keinem tiefgründigen Plan.

Tote Tiere und ein berühmter Familienname

Nasan Turs Ausstellung "Hunted" ist konzentriert, fast schon eine einzige Arbeit in mehreren Teilen, in der es um eine Auseinandersetzung mit dem Tod bzw. dem Töten von Tieren geht. Julius von Bismarck dagegen präsentiert eine Mini-Werkschau, die auch ihn selbst bzw. seinen Familiennamen mit einbezieht, der ja einen starken historischen Widerhall hat. Durch den ersten Reichskanzler Otto von Bismarck – ein entfernter Verwandter des Künstlers – erscheint der Name da, wo das Deutsche Reich im 19. Jahrhundert Kolonien gründete: Es gibt das Bismarck-Archipel und die Bismarck-See bei Papua- Neuguinea oder auch die Bismarck-Palme, die aus Madagaskar stammt. Dese Palme zum Beispiel hat Julius von Bismarck mit anderen exotischen Pflanzen zusammen buchstäblich "platt gemacht", also gepresst, wie man es sonst nur im kleinen Maßstab mit Blumen oder Gräsern macht. Jetzt hängen diese großen Pflanzen wie Schattenrisse ihrer selbst von der Decke: Natur als Deko-Element.

Julius von Bismarck: Ausstellungsansicht "Julius von Bismarck. When Platitudes Become Form", Berlinische Galerie © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 | Foto: Roman MärzAusstellungsansicht: "Julius von Bismarck. When Platitudes Become Form", Berlinische Galerie

Und von einer Reise des Künstlers zur Bismarck-See zeugen ein Foto und ein riesiges, mit stilisiertem Wellenmuster - "holzschnittartig" – bemaltes Tuch, das er der Bismarck-See übergestülpt, auf die echten Wellen gelegt und so fotografiert hat. In diesem dreiteiligen fotografischen Bild überlagern sich also die verschiedensten Formen von Aneignung – eines fremden Territoriums durch die deutsche Kolonialmacht, wovon der Name "Bismarck-See" zeugt, und der Natur durch die Kunst, die ja oftmals eine "geschönte" Natur zeigt.

Könnte ich das tun?

Einen kritischen Blick auf unser Verhältnis zur Kreatur wirft Nasan Tur. Er konfrontiert sein Publikum zunächst mit dem Tod: Im ersten Raum seiner Ausstellung liegen großräumig verteilt tote Tiere wie Wildschwein oder Fuchs – einheimische Wildtiere, die auch zum Teil bejagt werden. Hier sind sie jedoch nicht als ausgestopfte Trophäen zu sehen. Stattdessen hat der Tierpräparator sie liegend, als tote Tiere konserviert – wenn auch ohne sichtbare Verletzung. Man schaut auf sie herab und im nächsten Raum blickt man auf: Riesige Kohlezeichnungen nach Schattenbildern, die Nasan Tur mit den Händen geformt hat, hängen an den hohen Wänden – "tierische" Illusionen.

Ausstellungsansicht: "Nasan Tur. Hunted", Berlinische Galerie © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 | Foto: Nasan Tur
Ausstellungsansicht: "Nasan Tur. Hunted", Berlinische Galerie | Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2023 | Foto: Nasan Tur

Den Abschluss bilden Gespräche, die der Künstler mit Männern und Frauen geführt hat, die selbst auf die Jagd gehen oder gegangen sind. Einer erzählt auch davon, dass er damit aufgehört hat, weil er Angst bekam vor dem "Spaß am Töten", als er merkte, dass er keinen Respekt mehr hat vor der Kreatur. Was Menschen empfinden, wenn sie ein Tier "erlegen" – oder recht eigentlich aus dem Hinterhalt töten, wie einer der Jäger anmerkt – steht im Mittelpunkt. Man sieht nie, wer spricht: Keine Gesichter, nur Hände und Oberkörper. Und weil diese Personen damit in gewisser Weise abstrakt bleiben, liegt es nahe, sich selbst zu befragen: Könnte ich das tun? In welchem Verhältnis zu einem Tier muss ich stehen, um es – ohne Not – zu töten?

Gute Wahl für die Wiedereröffnung

Beide Künstler, Nasan Tur und Julius von Bismarck, haben ein sehr eigenes künstlerisches Profil, ihre Arbeiten tragen eine andere Sicht zu gesellschaftlichen Debatten bei – und gleichzeitig waren beide in dieser Stadt noch nicht so ausführlich zu sehen. Denn so etwas wie eine städtische Galerie gibt es in Berlin nicht – da muss dann das Landesmuseum für Moderne Kunst, eben die Berlinische Galerie, einspringen.

Silke Hennig, rbbKultur