Isa Genzken: DER JUNGE GEWICHTHEBER, 2004 (Ausstellungsansicht "Isa Genzken. 75/75, Neue Nationalgalerie, 2023 © Galerie Buchholz / VG Bild-Kunst, Bonn, 2023 | Foto: Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Jens Ziehe
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Neue Nationalgalerie - "Isa Genzken. 75/75"

Bewertung:

Die Bildhauerin Isa Genzken ist eine der international erfolgreichsten zeitgenössischen Künstlerinnen. Sie ist Trägerin des Goslarer Kaiserrings, hat mehrfach an der documenta in Kassel teilgenommen und Deutschland auf der Biennale in Venedig vertreten. Trotzdem ist sie einem großen Publikum am ehesten bekannt als einstmalige Ehefrau des Malers Gerhard Richter, als für ihr künstlerisches Werk. Vielleicht ändert sich das mit der Retrospektive, die ihr die Neue Nationalgalerie in Berlin jetzt ausrichtet. Aus Anlass ihres 75. Geburtstags im November sind dort 75 Arbeiten Genzkens aus allen Schaffensperioden zu sehen.

Ihre Arbeiten sehen so verschieden aus, dass man auf den ersten Blick meinen könnte, die Präsentation in der gläsernen Halle der Neuen Nationalgalerie sei gar keine Einzel-, sondern eine Gruppenausstellung.

Immer wieder anders

Isa Genzken hat immer in Serien gearbeitet und sich nie auf dem einmal Erreichten ausgeruht, sondern mit beispielloser Konsequenz immer wieder in neue Richtungen weitergearbeitet. So bildete sie immer nur phasenweise einen wiedererkennbaren Stil aus. Noch im Studium, in den späten 70er Jahren, entwickelte sie minimalistische Holzskulpturen: Lange, schmale, perfekt geschwungene Objekte, die nur an einem oder zwei Punkten auf dem Boden aufliegen und damit einen schwebenden Eindruck vermitteln. Damit war sie sofort sehr erfolgreich und diese Arbeiten stehen auch am Anfang der Ausstellung. Doch nach wenigen Jahren wechselte sie von diesen eleganten Holzobjekten zu Beton. Es entstanden rohe, raue Miniaturräume, bei denen Innen und Außen gleich wichtig sind.

Dann entdeckte sie Kunstharz für sich. Die daraus "gebauten" Rahmen-Objekte sind - "angesteckt" von der Durchlässigkeit ihrer Tür- und Fenstervorbilder – semi-transparent. Losgelöst im Raum, auf dem Boden oder hohen Sockeln platziert, unterstreichen sie das, was echten Türen und Fenstern fehlt: Genau jener Objekt-Charakter. Denn sie zeichnen sich gerade durch ihre Unabgegrenztheit aus: Man geht oder sieht hindurch, ohne sie als Gegenstand wirklich wahrzunehmen.

Solcherart Übersehenes, Randständiges greift Genzken immer wieder auf, benutzt gefundene Gegenstände, kombiniert in ihren Assemblagen Stühle, Puppen, Masken bis hin zu Schaufensterpuppen, die sie gegen den Strich dekoriert oder Nofretete-Kopien, die sie mit Designersonnenbrillen oder Atemschutzmaske ausstattet.

Bildergalerie

Neue Nationalgalerie: Isa Genzken. 75/75

Brüche und Kontinuitäten

Die chronologische Aufreihung der 75 Arbeiten folgt der strengen Geometrie von Mies' Architektur. Dabei bringt diese Schlichtheit, der völlige Verzicht auf eine interpretierende Inszenierung, eine erstaunliche Transparenz in dieses unübersichtlich und heterogen erscheinende Werk.

Nicht mehr nur die Brüche fallen auf, sondern auch die Kontinuitäten: Dass sich Isa Genzken immer wieder mit der Kunstgeschichte auseinandergesetzt hat – mit Minimalismus, aber auch Surrealismus zum Beispiell. So steht vor der Neuen Nationalgalerie eine ihrer monumentalen Blumen, eine acht Meter hohe Rose, die dem strengen Gebäude und dem strikten Dekorationsverbot der Bauhaus-Moderne, als dessen Ikone es gilt, einen floralen Tritt verpasst. Auch das Thema Architektur ist omnipräsent: Von den skizzenartigen Beton-"Räumen" bis zu Stelen, die wie Modell-Hochhäuser wirken.

Die wohlgeordnete Präsentation macht auch sichtbar, dass Genzkens Werk mit der Zeit immer instabiler und offener wird, dass immer mehr "Welt" eindringt: Zeitgeschehen, aber auch Design, Mode. Ihre "Arrangements" erscheinen bisweilen witzig, schrill, vor allem aber sehr verletzlich.

Konsequent subversiv

Der rote Faden, der Isa Genzkens Schaffen durchzieht, ist die Grundhaltung einer gewissen "Subversion". Immer findet eine Umdeutung statt: Aus "fast nichts" wie einem Fenster wird ein Objekt. Luxus, teure Designergegenstände werden wie trashige Deko benutzt und billige Folien oder Plastikblumen zu Kunst erhoben. Immer hinterfragt, bzw. untergräbt die Künstlerin Normen wie "guten Geschmack", "Schönheit" oder auch, was der Kunstmarkt von einem erfolgreichen Künstler - und erst recht einer erfolgreichen Künstlerin erwartet: klares Profil, eine Handschrift, stilistische Verlässlichkeit.

All das hat Genzken konsequent unterlaufen. Das ist ein Grund, warum sie bei Künstlern – gerade jüngeren – so hoch im Kurs steht und warum sich aber ein "großes Publikum" und die großen Institutionen, Museen, eher schwer tun mit ihrer Kunst.

Obwohl sie persönlich mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte – trotz Sucht und Krankheit – hat sie ein Werk geschaffen, das sich durch einen ganz eigenen, vorurteilslosen Blick auf die Welt auszeichnet. Ein Werk ohne Rücksicht auf Verluste – zu erleben in einer bemerkenswerten Ausstellung für eine sehr bemerkenswerte Künstlerin.

Silke Hennig, rbbKultur