Edvard Munch: Rot und Weiß © MUNCH, Oslo / Halvor Bjørngård
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Berlinische Galerie - "Edvard Munch. Zauberer des Nordens"

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Dieser Herbst steht im Zeichen des norwegischen Malers Edvard Munch – mit gleich zwei großen Ausstellungen in Berlin und Potsdam, auf die im Dezember schließlich noch ein Kinofilm folgt. Den Auftakt, mit zahlreichen Leihgaben des Munch-Museums in Oslo, macht die Berlinische Galerie, die dem Bezug des Malers zu Berlin nachspürt.

Ein echter "Ölschinken" stimmt das Publikum ein: Nicht von Edvard Munch, sondern von Themistokles von Eckenbrecher (damals hatten Künstler noch spektakuläre Namen) stammt das Gemälde, das das erste Kreuzfahrtschiff, die "Auguste Victoria" 1900 in einem norwegischen Fjord zeigt. Nicht nur den Kaiser zog es im Sommer nach Skandinavien.

Ambivalenz und nordisches Weltgefühl

Der Norden als Sehnsuchtsort und Projektionsfläche – das war die Stimmung auf die Munch traf, als seine erste Ausstellung in Berlin eröffnete. Am Ende wurde er selbst Synonym für den "Zauber des Nordens": Der Maler, der der nordischen Seele Ausdruck verlieh. So wurde Munch auch noch von Göbbels verehrt. Aber weil seine Bilder nicht der pingeligen Feinmalerei und zuckrigen Weltsicht entsprachen, die sich bei den Nazis durchsetzte, fielen 83 seiner Bilder 1937 der NS-Beschlagnahme-Aktion Entartete Kunst zum Opfer. In Einzelfällen allerdings wurden sie auch rasch wieder zurückgegeben, weil Munch eben doch noch als Repräsentant eines spezifisch nordischen Weltgefühls gesehen werden konnte.

Nicht zuletzt, dass so viele seiner Arbeiten damals in Museumssammlungen vertreten waren, unterstreicht den Erfolg des Norwegers in Deutschland. 1927 etwa richtete ihm die Nationalgalerie Berlin ihre bis dahin größte Retrospektive für einen zeitgenössischen Künstler aus.

Publicity dank "Affaire"

Am Anfang jedoch stand ein Eklat. Eingeladen vom Verein Berliner Künstler wurde Munchs erste Ausstellung in der deutschen Hauptstadt 1892 nach wenigen Tagen wieder geschlossen. Seine Bilder, in denen alles summarisch, zu großen Formen zusammengefasst war, standen im Widerspruch zur traditionellen, eher "parfümierten" Kunstauffassung. Für die Zeitgenossen – auch in der Künstlerschaft – wirkte Munchs Malerei grob und unfertig. Er selbst nutzte die "Publicity" um die "Affaire Munch" und zog umgehend nach Berlin.

Bis 1909, als er ganz nach Norwegen zurückkehrte, lebte er mit Unterbrechungen immer wieder hier. Seine Verbundenheit mit der Berliner Kunstszene lässt sich ablesen an Porträts von Freunden wie dem Maler Walter Leistikow und seiner Frau oder dem schwedischen Schriftsteller August Strindberg. In einem hervorragend konzipierten Raum mit solchen Bildnissen wird nicht nur das soziale Netzwerk des norwegischen Malers sichtbar, sondern auch, wie differenziert und abgestimmt auf die jeweilige Persönlichkeit er porträtierte. Walther Rathenau beispielsweise, den Unternehmer und späteren Aussenminister der Weimarer Republik (der selbst mehrere Werke Munchs besaß), stellt er äußerst selbsbewusst ins Bild: breitbeinig und mit Zigarette in der Hand, vor einem ebenso malerischen wie rätselhaften Hintergrund.

"Ein ekelhafter Kerl, nicht wahr. Das hat man davon, wenn man sich von einem großen Künstler malen lässt, da wird man sich ähnlicher als man ist", kommentierte Rathenau selbstironisch.

Bildergalerie

Berlinische Galerie: Edvard Munch. Zauber des Nordens

Experimente

Der zentrale Raum der Ausstellung ist Munchs Lebensfries-Themen gewidmet: Liebe, Eifersucht, Angst, Tod. Die Anordnung seiner Gemälde zu einem "Lebenszyklus" sollte dem Publikum das Verständnis erleichtern. Denn zu einer Zeit, als die Kunst sich für die detailgetreue Abschilderung von Äußerlichkeiten zuständig sah, wirkten seine flächigen "inneren Bilder", die Darstellungen von Gefühlszuständen, befremdlich.

Hier wie anhand der Porträts wird auch deutlich, welche enorme Entwicklung Munchs Werk nimmt, das Einflüsse von van Gogh über Manet bis Matisse verarbeitet und sich zugunsten von Ausdruck immer mehr von Konventionen löst. In Berlin erprobt Munch aber auch neue Techniken: Er entdeckt und erprobt die Druckgrafik für sich und wird rasch zu einem Meister der Aussparungen, der die Maserung eines hölzernen Druckstocks ebenso expressiv einsetzt wie großflächiges Schwarz. Auch mit der Fotografie befasst er sich: Er kauft eine Kamera und fotografiert sich selbst, sein Atelier in der Lützowstraße, seine Bilder in der Galerie Paul Cassirer oder auch das Modell für den "Akt mit langem roten Haar" von 1902, der nun gleich daneben hängt.

Gibt es den "typischen Munch" überhaupt? Gewissheiten geraten in dieser Aussellung ins Wanken. Sie schafft es, einem "Posterboy" der modernen Malerei gänzlich andere als die immer gleichen Aspekte abzugewinnen: Neues, das nicht nur auf Texttafeln zu lesen, sondern vor allem zu sehen ist.

Silke Hennig, rbbKultur

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