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Museum Barberini - "Munch. Lebenslandschaft"

Bewertung:

Wer sich in das Werk des Künstlers Edvard Munch vertiefen will, hat in diesem Herbst in Berlin und Brandenburg die einmalige Gelegenheit, das anhand von gleich zwei großen Ausstellungen zu tun: Nach der Berlinischen Galerie, die dem Verhältnis des Norwegers zu Berlin nachspürt, wo er zeitweise lebte und arbeitete, rückt das Museum Barberini in Potsdam mit der Ausstellung "Munch. Lebenslandschaft" seine Faszination für die Natur in den Fokus.

 

Edvard Munch gilt als Maler seelischer Zustände. DaSS er sich auch intensiv mit der Natur und ihren Zyklen, mit Naturphilosophie und Naturwissenschaft beschäftigte, spielte in der Rezeption seines Werks bislang keine große Rolle: Erstaunlich, angesichts der Fülle an Beispielen, die diese Ausstellung aufbieten kann. Sie zeigt, wie Wälder, Felder und Küstenlandschaften in seinen Bildern nicht einfach nur den Hintergrund bilden, sondern selbst zu "Akteuren" werden.

Mal verschlingt diese Natur den Menschen regelrecht, so wie in einem Wald-Bild mit knorrigen Baumstämmen, das Ende der 20er Jahre entstand - mit expressiven Pinselhieben, die eine Figur zwischen zwei Bäumen geradezu durchstreichen, während im Hintergrund ein winzig kleines Paar läuft. Mal verbinden sich Mensch und Natur wie im Bild "Loslösung" aus Munchs symbolistischer Phase in den späten 1890er Jahren. Das weiße Kleid der Frau, die sich dem Meer zuwendet verschwimmt mit der Küstenlinie, die auf den Horizont zuläuft, während der Mann, der sich im Vordergrund ans Herz greift, so statisch erscheint wie der kerzengerade Baumstamm, an dem er lehnt. Gerade durch solche formalen und farblichen Stilisierungen nehmen Munchs Landschaftsdarstellungen oft märchenhafte, magische Züge an.

Leitmotiv Sonne

Diese Natur kann auch bedrohlich sein – im Sturm, im Winter, bei Eis und Schnee, wenn die Welt erstirbt. Aber darauf folgen Wiedererwachen, üppige Farben und Formen. Munch hing einer Theorie des "Stoffwechsels" an. Er glaubte an einen ewigen Kreislauf der Natur, in dem auch der Tod eine produktive Rolle hat. Im Übrigen betätigte er sich auch selbst als Gärtner, legte Obst- und Gemüsegärten an, die er dann wieder verwildern ließ.

Dieses Aufeinandertreffen von Natur und Kultur, ähnlich dem Übergang vom Land zum Meer, gehört zu den Zwischenzonen, die Munch besonders interessierten. Obwohl die Mechanisierung der Landwirtschaft schon längst eingesetzt hatte, sieht man bei ihm nichts davon. Er zeigt die Feldarbeit als archaische Arbeit mit der Natur. Leitmotiv, das an drei zentralen Stellen in der Ausstellung hängt, ist eine alles überstrahlende Sonne: Ziel menschlichen Strebens nach Licht und damit – im übertragenen Sinn - Erkenntnis.

Folgerichtig bildet eine solche Sonne auch das zentrale Motiv für den monumentalen Bilderzyklus, den Munch für die Aula der Universität Oslo entwickelt hat und der hier in einer verkleinerten Fassung, der sogenannten Mini-Aula, eindrucksvoll präsentiert wird. Die Strahlen dieser Sonne erscheinen wie Fächer, in denen jeweils eigene Landschaften auftauchen – gewissermaßen als ‚potenzierte Natur‘. Interessanterweise ergaben die Forschungen zu dieser Ausstellung, daß man auch damals, Anfang des 20.Jahrhunderts, eine Klimakrise befürchtete – und zwar eine neue Eiszeit.

Bildergalerie

Das große Geschrei

Verändert der Fokus auf seine Naturdarstellungen unser Bild vom "Seelenmaler" Munch? Zweifellos drücken sich in seinen Naturdarstellungen auch Seelenzustände aus, aber ebenso Naturphilosophie und naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Zeit. Es ist ein über weite Strecken bemerkenswert lichter Munch in dieser Ausstellung zu erleben – ein Künstler, der Natur nicht nur einfach abgebildet, sondern sie geradezu konzeptionell benutzt hat: In Holzschnitten ließ er die Holzmaserung als 'Landschaft' stehen und in seinen Freiluft-Ateliers setzte er seine Gemälde der Witterung und entsprechenden "natürlichen" Veränderungen bis hin zu Zerstörung aus: Vorgriffe auf experimentelle Verfahren, mit denen sich Munch wahrhaftig als Avantgardist erweist.

Und en passant räumt die Schau auch mit einem verbreiteten Missverständnis auf – nämlich dass es sich bei Munchs berühmtestem Motiv, dem "Schrei", um einen Ausdruck existenzieller menschlicher Not handelt. Die gemalten Fassungen sind zu fragil, um noch ausgeliehen zu werden, aber in der Ausstellung ist eine Lithografie des 'Schreis' von 1895 zu sehen. Der tatsächliche Titel des Blatts, das im Hintergrund Himmel, Wasser und eine Küstenlinie zeigt und im Vordergrund auf einer Brücke jenes merkwürdig geisterhafte Wesen, das sich die Ohren zuhält, Mund und Augen voller Schrecken aufgerissen, lautet "Geschrei". Ein handschriftlicher Zusatz vermerkt: "Ich fühlte das große Geschrei durch die Natur". Es ist also nicht die Figur, die schreit, sondern auch hier ist es die Natur, die Munch "zum Sprechen" bringt.

Silke Hennig, rbbKultur