Cornelia Funke: Die Farbe der Rache © Dressler
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Teil 4 der "Tintenwelt"-Reihe | Ab 14 Jahren - Cornelia Funke: "Die Farbe der Rache"

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Mit "Tintenherz" begeisterte die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke vor 20 Jahren Millionen Leserinnen und Leser. Sie hatte damit einen Kosmos erschaffen, in dem Menschen von unserer Welt in die Welt der Bücher wandern konnten und wieder zurück. Es folgten zwei weitere Bände, "Tintenblut" und "Tintentod" und die Trilogie schien beendet. Doch nun hat Cornelia Funke – 16 Jahre nach dem letzten Band – mit "Die Farbe der Rache" doch noch eine Quadrologie aus der Tintenwelt gemacht.

"Schwarz war die Welt. Es war Nacht in Ombra. Nur die Mauern der Burg färbten sich rot, als hätte die untergehende Sonne sich zwischen ihnen versteckt. Auf den Zinnen standen Wächter aus Feuer zwischen Soldaten aus Fleisch und Blut. Auch unten zwischen den Torbögen und auf dem Hof, wo die Lebenden sich drängten, formten die Flammen die Silhouetten von Frauen, Männern und Kindern. Es herrschte Frieden in Ombra, seit mehr als fünf Jahren. Doch in dieser kühlen Septembernacht gedachte die Stadt all derer, die für diesen Frieden gestorben waren, und wie jedes Jahr gab ihnen ein Mann durch die Flammen eine Gestalt."

Fünf Jahre sind in der Tintenwelt vergangen, seit dem Finale des dritten Bandes. 16 lange Jahre in unserer schnöden Welt ohne Magie und Zauberwesen. Doch schon mit den ersten Sätzen von "Die Farbe der Rache" sind wir wieder mitten in der Tintenwelt, als hätten wir nie aufgehört zu lesen.

Altmodisch und zugleich wie neu erfunden

Cornelia Funkes Sprache ist so reich wie in den ersten Büchern, zugleich altmodisch und wie völlig neu erfunden. Funke lässt Staubfinger wieder auferstehen, und all die anderen Menschen und Lebewesen der Tintenwelt. Selbst, wer die drei ersten Bände gelesen hat, wird sich erstmal zurechtfinden müssen. Das weiß Cornelia Funke und hat ihrem neuesten Werk ein fünfseitiges Register der Figuren angehängt, mit ihren zahlreichen Bezeichnungen, denn kaum jemand trägt hier nur einen Namen:

"Feuertänzer. Staubfinger hörte, wie die Menge, den Namen, den sie ihm gegeben hatte, voll Dankbarkeit murmelte.", "Violante hieß nicht länger die Hässliche. Die Tapfere nannte man sie nun, bisweilen sogar die Gütige."

So farbenfroh wie die Namen, so bunt und vielfältig sind die unzähligen magischen Lebewesen, die die Tintenwelt bevölkern.

Das Grauen der Farblosigkeit

In die Welt all dieser fantasievollen Lichtgestalten, die sich noch gar nicht an den neuen Frieden gewöhnt haben, lässt Cornelia Funke das Grauen schleichen: Die Farbe Grau greift nach den Freunden und der Familie des Feuertänzers, Grau - die titelgebende Farbe der Rache:

"Grau. Das war alles, was Meggie sah, hörte und fühlte. Grau. Es füllte ihr das Herz und die Augen, die Hände, die Ohren... Es war die Asche von allem, was sie je gewesen war. Meggie konnte nicht sagen, woher sie das wusste. Aber es war die Wahrheit. Ich habe alles verschlungen, wisperte das Grau. Es gibt nichts außer mir. Es hatte tausend Zungen und tausend Hände, die sie festhielten."

Orpheus, der Bösewicht der ersten Bände der Tintenwelt, der als besiegt galt, ist auf Rachefeldzug gegen alles, was ihm eigentlich am Herzen lag. So wie bei Michael Endes Momo die Grauen Herren das Leben ersticken oder das Nichts in der Unendlichen Geschichte die Phantasiewelt vernichtet – so schluckt hier ein grau gemaltes Buch die Menschen der Tintenwelt:

"Es hätte so gern von ihnen erzählt, das Buch, das so gut in einer Menschenhand passte. Denn dafür war es gemacht. Zu erzählen. Worte zu finden. Zu bewahren und zu erinnern, wenn das Vergessen kam. Aber das Grau hatte sie alle erstarren lassen wie farbloser Bernstein. Es hatte ihnen ihre Geschichten gestohlen und sie stumm gemacht."

Eine Ode an die Künste

Bei Cornelia Funke hat alles eine Seele, auch – oder ganz besonders – ein Buch. Und so können die, die vom rachsüchtigen Orpheus verfolgt werden, ihren Mut in der Kunst finden – in der Malerei, dem Gesang und sogar in der Schmiedekunst, so wie Staubfingers Stiefsohn Jehan:

"Alle Kunst beginnt mit Liebe, und Jehan liebte, was der Schoß der Erde barg. Schon als Kind hatte er nach Steinen gesucht, die einen Schimmer bargen, und er lebte in einer Welt, in der nicht bloß Flammen antworteten, wenn man mit ihnen sprach. Jehan hörte, was Gold, Silber, Kupfer und Eisen flüsterten. Deshalb formten sie alles, worum er sie bat."

Cornelia Funkes "Die Farbe der Rache" ist in Zeiten der Kriege und der Gewalt, der Zerstörung der Natur und der gewohnten Sicherheiten ein wunderschön geschriebenes Plädoyer für den Frieden, für Liebe und Freundschaft, für den Respekt vor jedem Lebewesen und Ding und an erster Stelle eine Ode an die Künste.

Irène Bluche, rbbKultur

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