BE: "Mutti, was machst du da?" © Jörg Brüggemann
Jörg Brüggemann
Bild: Jörg Brüggemann Download (mp3, 7 MB)

Berliner Ensemble - "Mutti, was machst du da?"

Bewertung:

"Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft", hieß es nicht nur in der DDR. Doch was bedeutet das heute überhaupt? In Axel Ranischs und Paul Zachers neuer Komödie am Berliner Ensemble stranden unterschiedlichste Menschen im Büro eines Wohnungsverwalters in Berlin-Lichtenberg.

Zuletzt musizieren sie versöhnt ein etwas schräges Duett: Constanze Becker als Mutter Elke an der Blockflöte, und Tilo Nest als demente Großmutter Evelyn am Klavier. Und dann kommt auch noch der strenge Vermieter Manfred auf die herzerweichende Idee, sie könnten doch alle zusammen in eine seiner Vier-Zimmer-Wohnungen ziehen – dann klappt’s auch mit der teuren Miete: Evelyn und Elke, ihr schwuler Musiker-Sohn Anton, der sich gerade zusammengerauft hat mit Pepe, Pepes Mutter Astrid, die wiederum die neue Freundin von Manfred ist. Wie klein ist doch die Welt.

"Mutti Was machst du da?" im Berliner Ensemble v.l. Martin Rentzsch, Constanze Becker, Tilo Nest (Quelle: © Joerg Brueggemann / OSTKREUZ)
Bild: © Joerg Brueggemann / OSTKREUZ)

Tragikomödien mit Happy End

Das darf man getrost spoilern, denn dass Axel Ranisch in seinem Theaterdebüt "Mutti, was machst du da?" am Berliner Ensemble (geschrieben mit seinem Ehemann Paul Zacher) eine seiner sympathischen und menschenfreundlichen Tragikomödien mit Happy End erzählt, wird schnell deutlich. Aber bis alle zueinander finden, dauert es natürlich einige Songs und Höhe- und Tiefpunkte, die Ranisch mit dem Glauben an das Gute im Menschen in Szene setzt.

Das kann traurig und lustig zugleich sein, wenn die demente Oma, obenrum nur mit BH bekleidet, mal wieder in den Wunden bohrt und fragt, wann Elkes verstorbener Ehemann denn endlich zurückkomme. "Er ist tot? Seit wann denn das?" Manches ist ironisch zugespitzt. Wenn Elke ihrem Sohn rät, doch lieber fröhliche Stücke zu schreiben und die Oma in einem klaren Moment dazwischengeht: "Manchmal spielt das Leben eben Moll, Elke!" Und sie: "Aber Geld verdient er nur mit Dur, Mutti!"

Und vieles ist sentimental. Wenn Anton mit seinem Schreibjournal in der Hand ins Publikum spricht: "Oma hat mir das Buch geschenkt. Damit ich nicht immer so einsam bin, sagt sie. Ich wünschte, sie hätte Unrecht. 'Auf jede Seite ein Lied über den Mann, der dich liebt.' Das war ihre Aufgabe. 'Und dann klingelt er an deiner Tür.'"

Exquisite Besetzung

Stefanie Reinsperger spielt diesen schwulen Anton als schüchternes Mauerblümchen, das sich mit selbstkomponierten Schlagern zur Liebe träumt. Bis Pepe vor ihr steht. Das Hochhaus auf der sonst fast leeren Bühne hat sich gedreht und deutet nun eine Amtsstube an. Hier, im Warteraum des Vermieters, treffen Anton und Pepe aufeinander – sie kennen sich noch aus der Schule. Und verlieben sich Hals über Kopf. Doch Pepe ist überschuldet, obdachlos – und täuscht den erfolgreichen Pharma-Industriemann nur vor. Eigentlich vercheckt er illegal Medikamente. Und pendelt zwischen Euphorie und Selbstmordgedanken, bis er endlich in der Klinik landet: bipolare Störung.

Der Cast an diesem Abend ist exquisit: auch Kathleen Morgeneyer und Martin Rentzsch glänzen, doch am schönsten spielt Tilo Nest die demente Großmutter. Augenzwinkernd und doch ernsthaft, nie zu überzeichnet. Und Ranischs bekannte Zutaten sind alle mit dabei: der schwule, dicke, schüchterne Junge, die Musik, die dominante Mutter, der abwesende Sportler-Vater, die demente Großmutter, die problematische Liebesgeschichte.

BE: "Mutti, was machst du da?" © Jörg Brüggemann
Bild: Jörg Brüggemann

Grips-Theater-Feeling

Dass der Abend trotzdem nicht abhebt, liegt an seiner ungeheuren Nettigkeit und Harmlosigkeit. Man fühlt sich wie am Berliner Grips-Theater: Der Vermieter ist doch gar nicht so böse, die Wohnungssorgen in Lichtenberg lösen sich auf, die Kranken finden Hilfe und die unglücklich Liebenden lernen zu kommunizieren – alles wird gut, wenn nur genügend Mutmacher-Songs gesungen werden.

Dagegen ist nichts einzuwenden – und das coole Theater-Berlin kann gut leben mit einem Abend dieser Gutherzigkeit, der sich für die ganze Familie eignet. Doch Axel Ranisch, der im Film Konventionen bricht, der mit Schauspieler:innen frei improvisiert, hat ausgerechnet am Theater, das doch so viel freier ist als Film und Fernsehen, einen erstaunlich konventionellen und regelkonformen ersten Abend vorgelegt.

Barbara Behrendt, rbbKultur