Rimini Protokoll: Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan); © Claudia Ndebele
Claudia Ndebele
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Performing Arts Season der Berliner Festspiele - Rimini Protokoll: "Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)"

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Mitten hinein in ein geopolitisches Minenfeld führt die neue Produktion der Berliner Künstlergruppe Rimini Protokoll. Im Mittelpunkt der Inszenierung, die gestern im Rahmen der Performing Arts Season der Berliner Festspiele uraufgeführt wurde, steht Taiwan, der Inselstaat, auf den China Anspruch erhebt und dessen Unabhängigkeit von den USA garantiert wird. "Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ heißt das neue Stück von Rimini Protokoll, in dem immer wieder und in aller Deutlichkeit auf der Freiheit der Kunst bestanden wird.

Geschichte Taiwans – fehlende diplomatische Anerkennung

Das scheint auch angebracht bei diesem Abend aus taiwanesischer Perspektive über die Gründungs- und Diktatur-, über die Demokratie- und Wirtschafts-Geschichte Taiwans, über die Gegenwart als hochentwickeltem Industriestaat, der auf dem Demokratie-Index sehr weit oben steht. Zu tief in die historisch komplexe Materie wird hier allerdings auch nicht eingetaucht, denn im Mittelpunkt steht die Frage, warum Taiwan von nur sehr wenigen Ländern diplomatisch anerkannt ist – nicht von Deutschland oder einem anderen europäischen Staat, außer dem Vatikan und auch nicht von den USA, der Schutzmacht.

Und dass obwohl Taiwan Mitbegründer der UNO war und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates. Allerdings nur bis in die 70er Jahre hinein, bis zur Ein-China-Politik des kommunistischen Chinas, die ja bis heute gilt und die Existenz von Taiwan infrage stellt.

Die diplomatische Anerkennung ist das zentrale Thema, das die drei Experten des Alltags auf der Bühne diskutieren. So nennt und inszeniert die Künstlergruppe Rimini Protokoll ihre Protagonisten auf der Bühne schon seit mehr als 20 Jahren – Menschen aus verschiedensten Berufen und Lebensbereichen, die auf der Bühne sie selbst sind und ihre eigenen Lebens-Geschichten erzählen.

Rimini Protokoll: Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan); © Claudia Ndebele
Bild: Claudia Ndebele

Drei Expertinnen und Experten des Alltags

An diesem Abend sind das Chiayo Kuo, eine Aktivistin v.a. in der Digitalen Welt, die international auf NGO-Ebene für die Anerkennung Taiwans kämpft. Und Debby Wand, Musikerin, Komponistin und Erbin eines weltweit agierenden Unternehmens für Bubble-Tea-Zutaten. Sie hält sich bei den politischen Themen raus, sagt sie, um ihre Familie nicht zu gefährden. Und neben diesen beiden jungen Frauen noch David Wu, ein Diplomat, der Taiwan 37 Jahre lang in vielen Ländern der Welt vertreten hat.

Die Gründung einer Botschaft Taiwans - Kunstfreiheit

Alle drei werden zu Botschaftern an diesem Abend, denn das ist der Clou: für die Dauer der Aufführung wird auf der Bühne der Berliner Festspiele eine Botschaft Taiwans in Deutschland gegründet und dann am Ende wieder geschlossen. Und das mit immer wiederkehrender Erinnerung an die Freiheit der Kunst. Nur keine Provokation - das ist eine zugrundeliegende Politik dieses Stückes.

Geopolitischer Grundkonflikt – Chinas Macht – ein weltpolitischer Konflikt

Denn, so die Befürchtung, allein durch die Behauptung, eine Botschaft Taiwans in der deutschen Hauptstadt gegründet zu haben, könnte sich China provoziert fühlen. Das ist der geopolitische Grundkonflikt, der hier auf persönlicher und autobiographischer, auf gesellschaftspolitischer und diplomatischer Ebene verhandelt wird. Die Macht Chinas, die wirtschaftliche und zunehmend auch militärische Macht, die Angst vieler Staaten der Welt, Taiwan offiziell anzuerkennen, der drohende Krieg, die Frage der Unterstützung durch die USA und durch die westliche Weltgemeinschaft. "Würdet ihr Deutschen bei einem Krieg uns so unterstützen, wie ihr die Ukraine unterstützt?“ – das ist eine der Fragen, die die drei direkt an das Publikum richten. Hier wird ein weltpolitischer Konflikt verhandelt und dass mit einer Dringlichkeit, die einem mitunter den Atem raubt.

Dokumentarisches Unterhaltungstheater mit viel Humor

Wie immer bei Rimini Protokoll wird das nicht als Lehrstunde, hier in internationaler Geschichte und Diplomatie inszeniert, sondern sehr souverän als aufklärerisches dokumentarisches Meinungs-Unterhaltungstheater mit viel Witz. Mit LIVE-Musik und Videos, mit LIVE-Kameras und bunten Papp-Figuren-Häuser-Landschaften, die in die LIVE-Kamera-Bilder hinein aufgestellt werden und auf den Leinwänden ganze Landschaften und Städte ergeben.

Das ist humorvoll inszeniert, wenn etwa die Gründung der taiwanesischen Botschaft mit zum Teil kuriosen Geschichten über mögliche Nationalflaggen und Nationalhymnen und von kulturgeschichtlichen Debatten begleitet wird. Oder wenn die zufälligen Zuschauer in der ersten Reihe als Bundesaußenministerin oder VW-Chef oder Biontech-Chefin begrüßt werden, sozusagen als Gäste der Botschafts-Eröffnung.

Unterschiedliche Perspektiven – mehrdimensionales Erzählen

Die drei Expertinnen und Experten tragen den Abend mit ihren persönlichen Geschichten, wenn sie ihre Reisepässe in die Kamera halten, wenn sie sich Kindheits- und Familien-Fotos zeigen, wenn sie ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Geschichte Taiwans deutlich machen. Hier wird auch immer wieder ein Generationenkonflikt sichtbar: der Diplomat David Wu und die Aktivistin Chiayo Kuo halten Protest-Schilder hoch, wenn sie die Erzählungen des oder der jeweils anderen nicht teilen – etwa zur Frage der Unabhängigkeit Taiwans.

Das alles ist abwechslungsreich und spielerisch inszeniert, Fakten und Anekdoten fließen in einem mehrdimensionalen Erzählen ineinander.

Das ist alles wahrlich nicht neu. Seit der Gründung verfolgt Rimini Protokoll mit all den Bühnenstücken, szenischen Installationen, Hörspielen und Stadtspaziergängen, mit all den Expertinnen und Experten, die zu den unterschiedlichsten Themen zu Wort kommen im Prinzip immer ein Ziel: neue Perspektiven auf unsere Wirklichkeit, unsere Realität zu ermöglichen und damit auch Umdeutungen möglich zu machen.

Das gelingt hier wieder hervorragend und könnte gut die nächste Einladung zum Berliner Theatertreffen bringen.

Frank Schmid, rbbKultur

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