Volksbühne am Rosa Luxemburgplatz: ja nichts ist ok Fabian Hinrichs © Thomas Aurin
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Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - "ja nichts ist ok" von René Pollesch und Fabian Hinrichs

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René Polleschs und Fabian Hinrichs haben zuletzt mit "Geht es dir gut?" einen Abend über die Erschöpfungsgesellschaft in Zeiten der Pandemie, des Klimawandels und des Ukraine-Kriegs vorgelegt. Jetzt folgt eine Inszenierung, die man als Replik darauf verstehen könnte: "ja nichts ist ok". Eine pessimistische, larmoyante Fortsetzung.

An diesem Abend ist wirklich gar nichts ok. Das zeigen schon die ersten Minuten. Fabian Hinrichs schreit noch hinter dem geschlossenen Vorhang um Hilfe. Als dieser dann zur Seite fährt, sehen wir, wie der Schauspieler von einem unsichtbaren Gegner in den im Boden eingelassenen Swimmingpool getunkt wird, wie er sich selbst am Schopf zerrt und zu ertränken versucht, während das unsichtbare Ich immer wieder ruft: "Sag es endlich!"

Nur was soll er sagen? Ein Bekenntnis wird ihm hier von sich selbst abverlangt in unserer Zeit der eindeutigen Positionierungen. Eine schizophrene Situation. Die dazu führt, dass Hinrichs sich mit einem Messer entlang der Pulsadern schneidet, dass das Kunstblut nur so spritzt.

Die Menschen können nicht mit und nicht ohne einander

Dann folgt die Rückschau: In einer tristen Doppelhaushälfte von Anna Viebrock spielt Fabian Hinrichs im fliegenden Wechsel einen Erzähler plus drei Bewohner:innen einer WG, die tödlich genervt von den alltäglichen Ärgerlichkeiten des Zusammenlebens sind, Claudias lange Haare im Bad zum Beispiel. Die sich aber aus Geldgründen die Wohnung teilen müssen. So wie die Bewohner:innen der Welt, die nicht miteinander können, aber auch nicht ohne einander.

"Ich hasse das alles"

Und die, wie Paul, voller Verzweiflung auf das Leben schauen, wenn sie nachts nicht schlafen können: "Ich hasse das alles. Ich hasse es zu sprechen. Ich hasse es zu hören. Ich hasse es zu sehen. Ich hasse die, die ich ansehe. Ich hasse die, denen ich zuhöre. Ich hasse meinen Nacken, jemand soll ihn abfackeln. Ich will keine Hände sehen, die irgendwas tun, das ich hasse. Ich will meine Hände nicht mehr sehen, die Schläge abwehren. Ich will meinen blutigen Kopf nicht mehr sehen. Ich will meine blutigen Hände nicht mehr sehen."

Was für ein düsterer, misanthropischer, verzweifelter Monolog. René Pollesch hat ein kleines Requiem auf die Welt und den Menschen des 21. Jahrhunderts geschrieben. Und vergleicht ihn mit der guten alten Steinzeit. Neben den Reihenhäusern stehen deshalb aufeinandergetürmte Felsbrocken. Wann begann es schiefzulaufen? Wie konnte sich die Welt mit den friedlichen Gliederfüßlern vor 560 Millionen Jahren zu einem solchen Ort der Gewalt entwickeln, fragt Hinrichs.

Auf dem WG-Fernseher laufen Bilder aus dem Gaza-Streifen. Erst kam ein Krieg, sagt Hinrichs, dann kam noch ein Krieg. Aber das Sprechen darüber ist schwierig geworden: "Früher konnte man in der WG über alles sprechen. Jeder mit jedem. Jetzt konnte man immer noch über alles sprechen, aber nicht jeder mit jedem."

Bloß keine Bekenntnisse

Und dabei belässt es der Abend. Denn, erinnert sei an die Eingangsszene: Man verwehrt sich jeder Form des Bekenntnisses. Polleschs Kulturpessimismus, sein Früher-war-alles-besser-Diktum kann Fabian Hinrichs traurig, augenzwinkernd und charmant performen. Etwa im misslingenden Gespräch mit dem künstlich intelligenten Kühlschrank.

Überhaupt gibt es schöne, auch versöhnliche Momente. Wenn ein Dutzend Statist:innen zuletzt auf die Bühne kommt zum Beispiel, und zeigt: Der Mensch ist nichts ohne den anderen Menschen. "Der Mensch. Er ist gewalttätig", sagt Hinrichs zu wunderschönen Schubert-Klängen. "Aber ich liebe ihn auch sehr. Ich liebe den Menschen."

Larmoyanz und Kulturpessimismus helfen nicht weiter

Doch das kann nicht darüber hinweghelfen, dass der 70-minütige Abend wirkt wie ein sentimentaler Nachklapp zur Inszenierung "Geht es dir gut". Auch darin kreiste Pollesch um die Ratlosigkeit in Zeiten von Pandemie, Klimawandel und Krieg. "ja nichts ist ok" ist nun ähnlich, nur eben noch eine Umdrehung finsterer.

Und kommt damit an einer Art Endpunkt an. Dieser Abend weiß auch in seinen Mitteln nicht mehr recht weiter. Denn mit Ironie, mit Haltungslosigkeit, Kulturpessimismus und Larmoyanz kommt man den Entwicklungen der Welt längst nicht mehr bei. Was kann, was wird nach diesem doch sehr wehleidigen Abgesang kommen im Oeuvre von René Pollesch und Fabian Hinrichs?

Barbara Behrendt, rbbKultur