BE: Sterben lieben kämpfen © Matthias Horn
Matthias Horn
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Berliner Ensemble - "Sterben Lieben Kämpfen" von Karl Ove Knausgård

Bewertung:

Von den Dämonen der Vergangenheit und vom ausbleibenden Erfolg als Schriftsteller verunsichert, entschließt sich Karl Ove Knausgård, das eigene Leben schonungslos offen zu legen und zum Gegenstand des Schreibens zu machen: Mit seinem auf sechs Bände angelegten 5.000-seitigen Mammut-Projekt, das zwischen 2009 und 2011 veröffentlicht wird und den Alltag und die Abgründe des Autors bis ins letzte Detail ausleuchtet, avanciert Knausgård zum weltweit anerkannten Superstar der Literatur. Im Berliner Ensemble bringt jetzt Yana Ross ihre Theaterversion der literarischen Vorlage auf die Bühne und konzentriert sich dabei auf die drei Romane "Sterben", "Lieben" und "Kämpfen".

Wider Erwarten wird es keine lange Theaterreise durch die Nacht: es dauert "nur" zweieinhalb Stunden. Wenig Zeit, um die zwischen Heute und Gestern, Wunsch und Wirklichkeit hin und her springende Handlung aufzudröseln, die radikale Selbstbeschau des Autors auf den existenziellen Kern einzudampfen und theatertauglich zu machen. Weil Yana Ross Holzhammer und Säge herausholt und die drei Romane (die immerhin 2.600 Seiten umfassen) auf das absolute Minimum reduziert, müssen alle Knausgård-Fans, die den Autor für die detailversessenen Alltagsbeobachtungen und ungeschminkte Entblößungen lieben, ganz tapfer zu sein.

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Knausgårds Werk auf das absolute Minimum reduziert

Dass Yana Ross sich "Sterben" und "Kämpfen" herauspickt, also den ersten und den letzten Teil, die sich direkt aufeinander beziehen und das ganze Gedankenkonstrukt stützen, macht Sinn. Für "Lieben" entscheidet sie sich, weil der Kampf der Geschlechter, der Knausgårds Ehe schwer belastet, sie besonders interessiert. In "Sterben" und "Kämpfen" geht es um das schwierige Verhältnis zum Vater, den Schatten, den er auf das verkorkste Leben des Autors und seines Bruders geworfen, all die Demütigungen und Grausamkeiten, mit denen der Vater die Kindheit der Söhne vergiftet hat.

Auseinandersetzung mit dem Vater - und mit Hitler

Im ersten Teil ("Sterben") ist der Vater gerade gestorben, die Söhne ordnen seinen Nachlass und verlieren sich in bleischweren Erinnerungen. Die Angst vor dem herrschsüchtigen Vater ist aber immer noch so groß, dass sie seinen Tod erst akzeptieren können, als ihnen der Bestatter die Leiche zeigt.

Im letzten Teil ("Kämpfen") mündet der Erzählstrom in einer Auseinandersetzung mit Hitlers Buch "Mein Kampf": Denn diese Hetzschrift des germanischen Größenwahns findet sich im Nachlass des toten Vaters. Knausgard zitiert und kommentiert über mehrere hundert Seiten Hitlers politische Perversionen in einer kaum zu ertragenden Ausführlichkeit.

In den Romanen, die im norwegischen Original den Titel "Min Kamp 1-6" haben, geht es eben nicht nur um Knausgårds Kampf um Liebe und Anerkennung, sondern auch um Hitler: Knausgård gleicht sein Lebensgefühl als sozialer Außenseiter mit dem Leben von Hitler ab und will verstehen, wie ein vom übermächtigen Vater drangsalierter junger Mann seine künstlerischen Ambitionen verliert und zum verbohrten Rassisten und Antisemiten mutiert. Aber den Titel "Mein Kampf" wollte man dem deutschen Publikum nicht zumuten und erfand einfach neue.

Eine kurze brisante Aktualität flackert auf, doch die Regisseurin lässt diesen Moment verstreichen

Yana Ross lässt eine "Hitler-Light-Version" spielen oder besser gesagt: aufsagen, denn gerade die Passagen, die sich auf Knausgårds Reflexionen über "Mein Kampf" beziehen, werden zumeist hölzern deklamiert. Einmal lässt sie sich zu einer peinlichen Persiflage hinreißen, wenn Karl Ove, gespielt von einem nervös-flattrigem, zu Schreiattacken neigenden Gabriel Schneider, im bramarbasierenden Hitler-Duktus schwadronieren und seine politischen Frustrationen und künstlerischen Minderwertigkeitsgefühle an den Juden auslassen muss, die angeblich für alle Übel dieser Welt verantwortlich sind. Da flackert kurz eine brisante Aktualität auf, doch Yana Ross lässt diesen Moment verstreichen und verzichtet darauf, sich vom Knausgård-Text zu lösen und die Abgründe des Antisemitismus und des "Judenhasses" auszuloten, die sich gerade aktuell wieder in den israelfeindlichen Tiraden dieser Tage auftun.

"Mein Kampf" bleibt in der Inszenierung nur ein Fremdkörper ohne politischen Biss und ohne Lust an der Provokation: Statt die Widerwärtigkeiten Hitlers den Zuschauern um die Ohren zu hauen, wie es mit Knausgårds Text möglich wäre, werden lieber einige von Knausgård in seinen Roman eingeflochten Texte von Stefan Zweig und Thomas Mann zelebriert und die "Todesfuge" von Paul Celan, die den "Tod als Meister aus Deutschland" kennt, laut heraus gebrüllt und lyrisch zerstört.

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Alles dreht sich, aber nichts geht voran

Themen und Personen werden munter durcheinander geworfen und in eine von allen guten Geistern verlassene Text- und Spielcollage verwandelt. In einer Bühnen-Rumpelkammer mit durchgesessenen Ikea-Möbeln, wackligen Billy-Regalen und mickrigen Topfpflanzen wird Karl Ove von seinem Vater gedemütigt und geschlagen. Mit seinem Freund Geir diskutiert er über Realismus in der Kunst und gibt zu, dass viele seiner Romanpassagen frei erfunden sind. Die Nazi-Großmutter geistert im Rabenkostüm durchs Geschehen; immer wieder muss der Vater sich zum Sterben auf einen Tisch legen und sein eigenes Grab schaufeln. Beim Spaghettiessen diskutiert man über den Holocaust.

Alles dreht sich, aber nichts geht voran. Rasender Stillstand, öde Langeweile. Das ziellose Getue und Gequatsche ist auch nur Sättigungsbeilage für das eigentliche Thema: die Liebe, die am schnöden Alltag zerschellt. Aus der lebenslustigen Linda, zerbrechlich und zart gespielt von Kathleen Morgeneyer, wird eine von Depressionen und Selbstmordfantasien gepeinigte Frau. Aus dem liebevollen Karl Ove, der sich jede Minute zum Schreiben hart erkämpft und dabei Frau Kinder vernachlässigt und betrügt, wird ein rücksichtsloser Macho. Die bitteren Szenen einer Ehe halten die mit billigen Witzeleien und dürftigen Showelementen aufgedonnerte Inszenierung notdürftig zusammen und retten die mit literarischem Klimbim und politischen Gemeinplätzen ständig am Rande des Klischees schlingernde Theaterbanalität vor dem totalen Absturz ins Nichts.

Trotzdem bleibt es ein überflüssiger Abend - einer zum schnellen Vergessen.

Frank Dietschreit, rbbKultur