Kirill Petrenko dirigiert Tschaikowsky und zwei Uraufführungen; © Stephan Rabold
Stephan Rabold
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Philharmonie Berlin - Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko: "Elektra" von Richard Strauss

Bewertung:

Man hört viel tiefer in das Stück hinein, sieht alle Schrauben und Muttern der "Elektra" – in welcher es sonst gewöhnlich nur brodelt und kocht –, wenn die Berliner Philharmoniker so ein Stück spielen. Erschwerte Bedingungen dennoch: Der Star des Abends, Nina Stemme, hatte sehr kurzfristig abgesagt (am Sonntag will sie aber singen). Die Einspringerin Ricarda Merbeth, welche die Titelrolle kürzlich noch an der Staatsoper sang, hatte gerade genug Zeit anzureisen. Kleiner Dämpfer, das. Nur: The Philharmonics take it all. Sie spielen das Werk erst zum zweiten Mal in ihrer Geschichte.

Das Stück gilt als Richard Strauss‘ modernste Partitur, da es die sperrigste, stachligste, brachialste Musik enthält, die der Komponist geschrieben hat. Ein Knaller und Generalangriff auf das Nervenkostüm der Zuhörer. Mit anderen Worten: die lauteste Oper aller Zeiten. Zumindest war das der Eindruck in der Philharmonie.

Fighterin mit Orgelton und Orestinetten-Bär

Dabei erledigt Ricarda Merbeth, 90 Minunten lang ständig auf der Bühne, einen Großteil der Arbeit selbst. Gelegentlich kriegt sie Besuch von links oder rechts. Dann wird um die Wette gekrischen. Merbeth, sich außerordentlich engagierend, verfügt über eine gleißend-durchschlagende Höhe (bei nur leichten "Tellertremolo" in der Mittellage). Sie geht die Rolle ganz "von oben", von den Spitzentönen her an. Während Michaela Schuster als Mutter Klytämnestra die zermürbte, zerrüttete Fighterin mit Orgelton in der Tiefe gibt. Beides: Kampfmaschinen am Rande des Herzinfarkts. Daneben singt Johan Reuter den Orest als einen vergleichsweise freundlichen "Orestinetten-Bär".

Die Philharmoniker dunsten und auratisieren

Der auf Präzision haltende, sein Orchester an einer kurzen Leine führende Kirill c kann vor allem im höchsten Fortissimo prunken. Die knallig offensiven, sonst schlichtweg explodierenden Stellen bleiben bei ihm immer noch klar und durchsichtig. Noch toller: die sehr wenigen, ganz leisen Stellen. Da fängt das Orchester ungeahnt, schlichtweg staunenswert zu dunsten und zu auratisieren an. Es ist klanglich kaum was da. Und dampft doch. Sowas habe ich noch nie gehört.

Ansonsten ertappte ich mich bei dem Wunsch, man möge die Partitur mal ohne Sänger aufführen. Vieles im Orchester entgeht einem doch. Liegt an der Vorlautheit, da ist Richard Strauss selber Schuld. Eigentlich repräsentiert Elza van den Heever als Chrysothemis die Einzige, die trotz ihres Fanals von Stimme eine schöne Kantilene hinkriegt. Kunststück!

Es ist ganz klar, dass die Berliner Philharmoniker die Sensation des Abends sind. Dennoch: Wer sich ein bisschen Abrüstung und Flexibilisierung dieses Schockers gewünscht hatte, wird enttäuscht. Es tut mir leid: Eines Beweises, wie brutal laut dieses Werk ist, hätte es nicht bedurft. Könnte man’s nicht ein bisschen leiser, dynamisch differenzierter (!), ja humaner spielen?

Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur

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