Komische Oper: Le nozze di Figaro © Monika Rittershaus
Monika Rittershaus
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Komische Oper Berlin - "Le nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart

Bewertung:

Die Mutter aller musikalischen Komödien ist zurück im Schiller Theater: "Le nozze di Figaro". Liebhaber in Schränken, Sprünge in Blumenbeete, nächtliche Rendezvous: Wolfgang Amadeus Mozart komponierte auf den Text seines Leib- und Magendichters Lorenzo Da Ponte ein Meisterwerk, das wirklich alle Zutaten einer perfekten Liebeskomödie enthält. Am Samstag war Premiere.

Kirill Sebrennikov, russischer Dissident und Opern-Regisseurs von Rang, ächzt im mittleren Teil seine da Ponte-Trilogie hörbar unter den Erwartungen. Die forcierte Aktualisierung und Umdeutung seines "Figaro" weist einige seltsame Querschläger auf. Arien werden verschoben (Bartolo) oder anders vergeben (Barbarina). Der Chor ist gestrichen. Mittendrin steht ein Terzett aus "Così fan tutte". Von der Personenregie her ist die Aufführung so ausgezeichnet gut gemacht, dass sie fast choreografiert wirkt – ohne das jemand tanzt. Am Grad der Überrüstung erkennt man, was Serebrennikov kann, aber mehr noch, was er glaubt leisten zu sollen.

Bekanntes Bühnenbild

Sein "Figaro" ist sozusagen eine "Gosford Park"-Version von Mozarts Oper. "Gosford Park", das ist ein Historien-Film der 90er Jahre von Robert Altman, der später als Vorlage für "Downtown Abbey" diente. Hier freilich verpflanzt in die Gegenwart eines Townhouses der kunstliebenden Wirtschafts-Noblesse. Im waagegerecht geteilten, doppelstöckigen Bühnenbild, das wir aus "Così" kennen (und dem wir im "Don Giovanni" wiederbegegnen werden), befindet sich unten ein ranzig-stockfleckiger Waschkeller fürs Personal. Oben die Beletage mit Kunst drin. Es wird viel mit dem Cellphone hantiert, getextet und ge-smst (das hatte Serebrennikov schon im "Barbier von Sevilla" so gemacht). Nichts Wesentliches bringt die Abspaltung einer Cherubina (!) von Mozarts Cherubino. Die zwei Figuren berauben der Sache ihres androngynen Witzes. Machen’s nur prätentiöser.

Komische Oper: Le nozze di Figaro © Monika Rittershaus
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Dieser "Figaro" hat spanischen Pfeffer im Hintern

Die Anhebung des musikalischen Niveaus, ein Ziel der neuen Intendanz, verfängt auf seiten der Sänger durchaus. Am Besten die Unbekannten: Tommaso Barea als erotisch röhrender Figaro und Penny Sofroniadou als Susanna. Ähnlich Hubert Zapiór als Graf. Am schwächsten, leider, die eigentlich Bekannteste: Nadja Mchantaf ist über die Contessa inzwischen eindeutig hinaus. Immerhin, man muss enorm hart gearbeitet haben. Sängerisch sitzt jede Lidschlag. Inmitten der auf Heutigkeit gebürsteten Deutung beschert das der Aufführung immerhin ein Handwerk mit goldenem Boden.

James Gaffigan, neuer GMD, steht immer noch unter Beobachtung. Den Drive des Stückes trifft er gut. Dieser "Figaro" hat spanischen Pfeffer im Hintern. Er klingt aber damit auch knallig, aufdringlich und derb vordergründung. Der Dirigent, unübersehbar, kommt mit dem Orchester gut klar. Man muss sich – angesichts der ausgeprägten Mozart-Tradition des Hauses – nicht vor sich selbst verstecken.

Zu hochkomplex

Schon weil es im selben Bühnenbild wie "Così" spielt, war ich nicht sonderlich neugierig. Und dann positiv überrascht. Spätestens am Ende des 3. Aktes, als eine Messerstecherei vom Zaun gebrochen wird, hat mich die Aufführung verloren. Die letzte halbe Stunde: völlig unverständlich. Was ein Grundproblem anzeigt: Die Kenntnis der Stücke nimmt heute immer mehr ab. Die Konzepte aber sind so hochkomplex, dass selbst Freaks wie ich am Ende nicht mehr durchsteigen. Man hat gearbeitet. Und man verursacht Arbeit. Warum?

Kai Luehrs-Kaiser, radio3