The Zone of Interest © LEONINE Distribution
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Drama - "The Zone of Interest"

Bewertung:

Bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet, jetzt fünffach für den Oscar nominiert: "The Zone of Interest" - nach dem Roman "Interessensgebiet" des im letzten Jahr verstorbenen britischen Autors Martin Amis - ist eine so bittere wie unbedingt sehenswerte Annährung an den Holocaust aus ungewöhnlicher Perspektive.

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Eine Gruppe von Menschen am See. Picknick bei schönstem Sonnenschein und guter Laune. Man badet. Die Kinder tollen umher. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, dass die Männer unter sich bleiben, die Frauen mit den Kindern. Das ist eine der ersten Szenen von "The Zone of Interest".

Eine andere: Der Mann verabschiedet sich, seine Frau hält ihr Baby auf dem Arm, läuft glücklich durch den Garten, zeigt ihrem Kind die blühenden Blumen. Alles hier deutet auf pure Idylle hin. Auch als die Oma zu Besuch kommt, ist sie voll des Lobes: für die Familie, das Haus, den schönen großen Garten mit Pool und Rutsche für die Kinder.

Das Unfassbare

Doch wird die Oma nicht wiederkommen. Noch in derselben Nacht packt sie heimlich ihre Koffer und verschwindet. Sie hat die Hunde bellen, die Gewehre schießen gehört, hat gerochen, was aus den Schornsteinen steigt: verbrannte Körper.

Anders als ihre Tochter Hedwig. Hedwig Höß, die Frau von Rudolf Höß, der Lagerkommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, der sie in guten Momenten "die Königin von Auschwitz" nennt. Hedwig gelingt das Unfassbare: Alles, was sich jenseits ihres Gartenzauns abspielt, sieht sie nicht, hört sie nicht, riecht sie nicht. Sie will davon nichts wissen. Hier in Auschwitz hat sie sich ihr kleines Paradies geschaffen, das sie niemals mehr aufgeben will.

Sandra Hüller und Christian Friedel als Ehepaar Höß: ein Horrorpaar schlechthin

Sandra Hüller spielt diese Frau mit ihren eng um den Kopf gelegten Zöpfen als eine so biedere wie lüsterne und unberechenbare Person, immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Wie sie tänzelnd vor dem Spiegel steht, sich in ihrem neuen Nerz betrachtet, wie sie das Gold durch die Finger gleiten lässt, freundlich bis gleichgültig zu ihren jüdischen Angestellten – nur so lange sie genau das tun, was sie verlangt. Man fragt sich: ist diese Frau einfach nur dumm oder ist sie eiskalt? So wie Sandra Hüller sie anlegt, ist es die Mischung aus beidem. Und die ist kaum zu ertragen.

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Genauso schlimm, wenn auch ganz anders: die klebrige Sanftheit, mit der Christian Friedel Rudolf Höß umgibt, ein Mann, der sich gerne in leuchtendes Weiß kleidet, sich nachts junge Jüdinnen ins Bett holt und tagsüber fast nebenbei den Mord an über einer Million Menschen organisiert. Beim Abendessen dann der fürsorgliche Papa. Sie geben das Horrorpaar schlechthin ab.

Der Holocaust aus Täter-Perspektive

"The Zone of Interest" erzählt die Geschichte des Holocaust aus der Perspektive der Täter. Was sie tun, empfinden sie nicht. Sehen sie nicht. Und so sehen auch wir keine Bilder des Grauens. Nur die gegen den blauen Himmel aufsteigenden Rauchsäulen.

Gedreht wurde in Polen, wenige Meter von dem ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entfernt. Auch das ist nicht zu benennen, aber spürbar – in den fast quälend langen Einstellungen von Haus und Garten: dem Alltag von Hedwig und Rudolf Höß.

Denn es ist auch eine Familiengeschichte, die der britische Regisseur Jonathan Glaser hier erzählt – eine grauenhaft deutsche Familiengeschichte. Er wünsche sich, sagt Glaser, dass das Publikum seinen Film mit "trockenen Augen – im Gegensatz zu sentimentalen Tränen" anschaue. Eine kaum zu bewältigende Herausforderung.

Christine Deggau, rbbKultur