Wir waren Kumpel © Filmperlen
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Dokumentation - "Wir waren Kumpel"

Bewertung:

Im Dezember 2018 schloss die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Damit endete die Steinkohleförderung in Deutschland. Was aus den Bergleuten geworden ist, wollten die beiden Dokumentarfilmer Jonas Matauschek und Christian Johannes Koch wissen. Sie begleiteten fünf Kumpel auf ihren letzten Schichten und besuchten sie dann später wieder im neuen Leben. "Wir waren Kumpel" heißt ihre Langzeitbeobachtung, die diese Woche ins Kino kommt.

Der Charme des Films besteht in der Vielfalt seiner Charaktere und in den spektakulären Bildern vom Alltag im Berg. Drei der Kumpel lernen wir noch unter Tage kennen, zwei Protagonisten arbeiten in der Zeche über Tage. Das Bergwerk ist eine Welt für sich mit ihrer eigenen Sprache, ihren eigenen Ritualen und ihrer eigenen Art der Zusammenarbeit.

Fünf ungewöhnliche Menschen

Am anschaulichsten ist das bei den beiden Bergleuten zu sehen, die sich "Langer und Locke" nennen. Sie flitzen bäuchlings durch die Schächte, finden sich nur mit der Grubenlampe zurecht, seifen sich dann am Feierabend gegenseitig gründlich ab und erscheinen abends picobello bei ihren Familien.

Da ist Martina, die einzige Frau im deutschen Bergbau. Sie hat als Mann begonnen und fühlt sich jetzt wohl in ihrer Haut als Frau und als Mensch unter Tage. Da ist Kirishantan Nadarajah, er spricht den breitesten Ruhrpott Dialekt und arbeitet als Lokführer auf dem Werksgelände. Und da ist Thomas, der sich um die Waschräume und die Kleidung für die Besuchergruppen kümmert.

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Die letzten Tage der Zeche

Martina fällt der Wandel am leichtesten. Sie wechselt in ein Salzbergwerk und sagt am Ende des Films, das sei der Job ihres Lebens. Die anderen sind mit Kindern und Häuschen stärker an den Ort gebunden, man merkt ihnen die Spannung an, je näher der Tag der Zechenschließung kommt.

Der Bergbau ist bei einigen Familientradition. Schon die Väter und die Großväter haben unter Tage gearbeitet. Von außen betrachtet wirkt die Arbeit hart: die Dunkelheit, der Staub, die Enge und die Schichten. Aber die festen Regeln zur Sicherheit, die Tradition, die auch in den letzten Tagen noch sichtbar ist, geben einen Halt, ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie sind Teil der Identität.

In den 19 Jahren, die er in der Zeche gearbeitet hat, habe er sich nie gefragt, wohin er gehöre, sagt der Tamile "Kiri". Keiner hört auf, weil die Arbeit zu hart ist, sondern weil der Steinkohlebergbau in Deutschland nicht mehr rentabel ist.

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Wir waren Kumpel

Mit dem Abschied vom Bergbau beginnt der zweite - der eigentliche Teil des Films. "Wir waren Kumpel" fragt, wie die Menschen mit dieser fundamentalen Erschütterung umgehen. Einer, der "Lange", macht schon während seiner letzten Arbeitswochen im Bergwerk einen Busführerschein und fährt jetzt den Schulbus. Das findet er eigentlich viel sinnvoller als die Arbeit in der Steinkohle. "Kiri", der Tamile, gerät in eine Krise. Er hat ein Häuschen in einer Neubausiedlung, mit Vorgarten, war geschätzt im Team, hat zwei Kinder und auf einmal kommen die Erinnerungen an seine Flucht aus Sri Lanka hoch. Er wird Lehrer an einer Schule für tamilische Kinder, weil er sagt, seine Kinder sollen ihre Wurzeln kennen.

"Locke" zofft sich als Hausmann mit seiner pubertierenden Tochter und Thomas lebt noch mit seiner Mutter in einem Hochhaus. Es wirkt etwas skurril, wenn die beiden in zwei Fernsehsesseln mit Tablett an der Armlehne ihr Abendessen zu sich nehmen. Aber genau das ist die Stärke des Film – er gewährt Einblick in Lebenswelten, die für die einen ganz normal wirken, für die anderen fremd.

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Hybrid gedreht

Jonas Matauschek und Christian Johannes Koch beginnen ihren Film wie eine klassische Arbeitsreportage – sie verzichten auf jeden Kommentar aus dem Off und verwenden ausschließlich den O-Ton der Menschen, die sie beobachten. Nach der Schließung der Zeche entsteht eine zeitliche Lücke, dazu kommt die Pandemie.

Mit der Vereinzelung der Kumpel geht die Spannung verloren. Mutig sind die Aufnahmen, die zu Hause entstehen und die Möglichkeit, in Familienzusammenhänge zu schauen. Etwas ratlos dagegen wirkt das Ende. Da beschließen "Langer'" und "Locke", noch einmal gemeinsam etwas zu unternehmen und fahren mit dem Wohnmobil nach Frankreich ans Meer. Das sieht aus wie eine Idee der Filmemacher. Der Gedanke, dass Helden ans Meer fahren, ist im Dokumentar- wie im Spielfilm inzwischen so abgenutzt, dass man den Bildern nicht mehr traut. Da endet der Film über ganz normal unkonventionelle Menschen im Klischee.

Simone Reber, rbbKultur