Harald Metzkes: Abtransport der sechsarmigen Göttin, 1956 © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
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Neue Nationalgalerie - "Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft"

Bewertung:

Was die Sammlung der Berliner Nationalgalerie an Kunst des 20.Jahrhunderts umfasst, wird sich erst wirklich enthüllen, wenn der dafür vorgesehene Neubau neben der Neuen Nationalgalerie fertiggestellt ist. Denn der Mies-van-der-Rohe-Bau bietet lediglich Platz für einen kleinen Ausschnitt davon. Bis 2025 wird dort jetzt Kunst gezeigt, die zwischen 1945 und 2000 entstand – ein Zeitraum, in dem doppelt und gänzlich Verschiedenes gesammelt wurde, denn es war die Zeit der deutschen Teilung mit einer Nationalgalerie in Ost und in West.

 

Der Titel dieser Sammlungspräsentation, "Zerreißprobe" könnte darauf hindeuten, daß die Auswahl vor allem von Gegensätzen bestimmt ist. Und tatsächlich betritt man die Ausstellung durch einen Saal, in dem sich die beiden großen "Gegenspieler" der Kunst des 20.Jahrhunderts gegenüberstehen: Die gegenständliche und die ungegenständliche Kunst, die in der Nachkriegszeit auch ideologisch vereinnahmt wurden. Die Abstraktion – auch in Abkehr von der Kunst im Nationalsozialismus – als favorisierte Kunstform der freien westlichen Welt auf der einen Seite (mit Werken von Willi Baumeister, Mark Rothko, Alexander Calder oder der gerade erst wiederentdeckten ungarisch-französischen Künstlerin Judith Reigl) und auf der anderen Seite der sozialistische Realismus mit u.a. einer Büste des Bergmanns Franz Franik vom Bildhauer Fritz Cremer.

Mittendrin aber hängt auch eine "Liegende"' von Picasso, der hüben wie drüben seine Spuren hinterließ, und andere "Solitäre" – vom Briten Henry Moore bis zur Österreicherin Maria Lassnig - die sich ebenfalls nicht in diese "Abstraktion-vs.-Figuration-Schublade" fügen. Damit deutet sich bereits an, worauf die Ausstellung vor allem ihren Fokus legt: Nicht Gegensätzlichkeit aufzuzeigen, sondern Grenzübertretungen und Verbindungen.

Pop und Posterboys

Am vielleicht überraschendsten sind dabei die Spuren der westlichen Pop Art, die die Ausstellung auch in Werken sozialistischer Künstler ausmacht. Nicht ganz überzeugend am Beispiel des DDR-Vorzeigemalers Willi Sitte, dessen monumentales Propaganda-Bild 'Leuna 1969' die Modernisierung im Chemie-Werk kurzschließt mit dem Glück einer strahlenden Kleinfamilie. Die malerischen Mittel, die er dafür verwendet, weisen zwar eine gewisse Pop-Ästhetik auf, verdanken aber in ihrer dynamisierten Bewegung mindestens so viel dem Futurismus der 1910er Jahre.

Sehr viel eindeutiger Pop-inspiriert ist ein Gemälde des russischen Malers Juri Koroljow von 1982, das direkt daneben hängt. Es zeigt eine Gruppe von Kosmonauten in strahlend weißen Raumanzügen. Überhaupt strahlt einfach alles an diesem Bild: Die Kosmonauten selbst, das Licht, in das sie getaucht sind. Koroljow stellt keine harten sozialistischen Helden dar, sondern lässige 'Posterboys'.

Bildergalerie

Der Kampf der Künstlerinnen

Bemerkenswerte Parallelen zwischen Ost und West fördert die Ausstellung auch bei feministischer Kunst zu Tage – wobei "Selbstinszenierungen" der Unfreiheit, wie sie Cornelia Schleime fotografierte, indem sie sich selbst wie ein Paket verschnürt oder mit Plastiktüte über dem Kopf präsentiert, natürlich nicht für die Nationalgalerie Ost angekauft wurden. Gerade um mehr Arbeiten von Künstlerinnen zeigen zu können, griff das kuratorische Team auf zahlreiche Leihgaben zurück (darunter auch Koroljows "Kosmonauten") - z.T. mit der Option auf Erwerb. So ergänzt nun beispielsweise eine Auswahl von Werken der polnischen Künstlerin Ewa Partum, die Anfang der 80er Jahre gegen die Nicht-Gleichberechtigung protestierte, indem sie sich u.a. nackt vor den Regierungssitz in Warschau stellte, die gefilmten Performances anderer Künstlerinnen wie Marina Abramovic, Yoko Ono oder Valie Export, die ihren eigenen Körper nicht minder radikal eingesetzt haben, um sich gegen die Einengungen zu wehren, denen sie – nur eben im Westen - gesellschaftlich, politisch, künstlerisch ausgesetzt waren.

Appetithappen

Ergänzt durch knappe, aber klug gewählte Bild und Text-Informationen, die den jeweiligen zeithistorischen Kontext "einblenden", erzeugt die Ausstellung in solchen thematisch organisierten Räumen ein "Gewebe", das zwar durchaus auch ikonische Werke wie Barnett Newman's abstraktes 'Who's afraid of Red, Yellow and Blue' enthält, aber mehr als auf einzelne "Highlights" auf (bisweilen überraschende) Verbindungen setzt. Einziger Wermutstropfen: Der Bogen, der hier über mehr als ein halbes Jahrhundert gespannt wird, ist zu groß. Man ahnt, daß aus Platzgründen sehr viel weggelassen wurde. So gesehen ist diese Sammlungspräsentation nicht zuletzt ein Appetithappen für das künftige Museum für die Kunst des 20.Jahrhunderts, wo endlich dauerhaft mehr gezeigt werden kann.

Silke Hennig, rbbKultur