Dana Grigorcea: Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen © Penguin
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Roman - Dana Grigorcea: "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen"

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Mit ihrem Roman "Die nicht sterben" gelangte Dana Grigorcea 2021 auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis. Da ging es durchaus ironisch um eine Art Dracula-Disneyland in Rumänien. Geboren wurde Dana Grigorcea in Bukarest, heute lebt sie in der Schweiz und schreibt auf Deutsch. Ihr neuer Roman, der heute erscheint, heißt "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen".

Am Ende geht es um die Kunst. Genauer: Es geht um die gerichtlich zu klärende Frage, ob eine Skulptur, von der der Künstler behauptet, es handle sich um eine Darstellung des Vogelflugs, als Kunstwerk zollfrei eingeführt werden darf oder ob sie nach dem Materialwert zu verzollen ist. Ort der Verhandlung: New York, im Oktober 1927.

Die Kunst und der Zusammenhang von Schreiben und Leben

Wie das Verfahren ausgeht, lässt Dana Grigorcea offen. Es ist auch nicht so wichtig, denn die Frage nach der Kunst und nach dem Zusammenhang von Schreiben und Leben durchzieht ihren neuen Roman "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen". Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Dora Marcu, die zusammen mit ihrem achtjährigen Sohn und einem Kindermädchen einige Wochen an der ligurischen Küste verbringt. Die Zeit dort möchte sie nutzen, um einen Roman über den Bildhauer Constantin Avis zu schreiben, der 1926 in der Hoffnung nach New York reist, dort eine große Einzelausstellung zu bekommen.

Diese Figur ist an den rumänischen Bildhauer Constantin Brȃncuși angelehnt, dessen Werk "Der Vogel im Raum" damals tatsächlich Gegenstand einer gerichtlichen Kontroverse wurde.

Widersprüche des Lebens

Dora hat einiges, nicht nur die rumänische Herkunft, mit Dana Grigorcea gemein, die den Roman ihrem Sohn Thomas gewidmet hat und die wohl ebenso wie ihre Romanfigur mit den Widersprüchen zwischen dem Leben als Mutter und als Schriftstellerin zu kämpfen hat.

Auf zwei Ebenen erzählt sie also vom Schreiben selbst und gewissermaßen als Roman im Roman von einem Künstler knapp 100 Jahre zuvor. Diesen Constantin lässt sie eine oder sogar zwei Liebesgeschichten erleben: Er umschwärmt eine Filmdiva der Stummfilmzeit, die aber – wir befinden uns am Übergang zum Tonfilm – ihre Ära bereits hinter sich hat. Und er verliebt sich in eine Fotografin, die ihm Zugang zur großen Welt der Galeristen verspricht.

Tatsächlich aber muss er sich von seinen Hoffnungen verabschieden. Nicht mit seinen Skulpturen ist er erfolgreich, sondern mit einer Nachbildung aus Pappmaché, die er für einen Filmdreh herstellt. Handwerk also statt Kunst – er landet in den USA auf dem Boden der gutbezahlten Tatsachen. Und das im Gegensatz zu seinem Credo "Kunst habe nichts mit Geld zu tun".

Wechsel der Erzählebenen

In stetem Wechsel der Erzählebenen bleibt die Gegenwart der Schriftstellerin in Ligurien als zweite Erzählebene präsent. Da geht es um die Schwierigkeit, das Schreiben dem Alltag abzutrotzen, trotz der doch recht komfortablen Situation mit Kindermädchen. Und es geht um eine seltsam verhaltene Liebesgeschichte, die Beziehung zu einem wohlhabenden Mann, dessen Besuch so ersehnt wie gefürchtet wird, denn ist die Liebe oder vielmehr die Anwesenheit des Geliebten nicht auch etwas, was beim Schreiben stört? Und doch drängt alles Erlebte in die Literatur, so wie die Katze, die der kleine Sohn sich wünscht, dann wie bestellt im zu schreibenden Buch auftaucht.

Auch die Frage nach der Herkunft und was Herkunft überhaupt zu bedeuten hat in einer Biografie – für die rumänisch-schweizerische Dana Grigorcea ebenso ein Thema wie für ihre Romanfigur – lässt sie das amerikanische Liebespaar erörtern und der These zuneigen, jeder komme von irgendwoher, das habe nichts zu bedeuten.

Ein leichtes, frühlingshaftes Buch

Der Kunstbegriff, den die Schriftstellerin Dora herausarbeitet und der auch in der abschließenden Gerichtsszene diskutiert wird, bleibt dann allerdings ein bisschen flach. Kunst sei dazu da, um darin das Böse untergehen zu lassen, heißt es einmal, sie sei der Ausdruck des Individuellen, des Schönen, Harmonischen, Proportionierten. Das klingt so harmlos, als hätte es Rilkes Diktum nie gegeben, wonach das Schöne nichts ist "als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen".

So ist auch an Dana Grigorceas Roman nichts Schreckliches, Abgründiges zu finden. Es ist ein leichtes, frühlingshaftes Buch. Daran lässt ja schon der schöne Titel keinen Zweifel.

Jörg Magenau, rbbKultur