Der Sioux Chef; Montage: rbbKultur
Bild: Kanon Verlag Berlin

Wiederentdeckt: die indigene Küche Nordamerikas - "Der Sioux Chef"

Wie haben die Einheimischen Nordamerikas gekocht und gegessen, bevor die weißen Siedler kamen? Spitzenkoch Sean Sherman, in einem Sioux-Reservat in South Dakota aufgewachsen, hat dieser fast verschwundenen kulinarischen Kultur jahrelang nachgeforscht. Sein Kochbuch "Der Sioux Chef" ist gerade in der deutschen Übersetzung erschienen und stellt die Küche der First Nations traditionsverbunden, aber auch kreativ vor – mit Rezepten, die besonders zeitgemäß anmuten.

Kein Gluten und keine Kuhmilch, wenig Zucker, wenn schon nur Süße aus Ahornsirup und Honig. Wenn Fleisch, dann eher Wild, wenn Fisch, dann Süßwasserfisch. Dazu Pilze, Nüsse, Samen, Beeren, Rüben, Knollen und Wildkräuter. Was sich wie ein heutiges Manifest regionaler, gesunder Bio-Landküche liest, war die Ernährungsgrundlage der indigenen Völker Nordamerikas, bevor ihnen die europäische Kolonisation Land und Ressourcen raubte.

Mit der Vertreibung in die Reservate verloren die Menschen den Zugang zu ihren traditionellen Versorgungsquellen. Auf die Lebensmittellieferungen der US-Regierung angewiesen, die zum großen Teil aus Weißmehl, Dosenfleisch und Schweineschmalz bestanden, entwickelten viele Einheimische Diabetes und Adipositas: Erscheinungen, die vorher unbekannt gewesen waren.

Der Sioux Chef; © Kanon Verlag Berlin/Heidi Ehalt
Bild: Kanon Verlag Berlin/Heidi Ehalt

Fast verschwundenes Agrar- und Küchenwissen

Sean Sherman und andere Botschafter:innen indigener Küche haben sich auf die Suche nach vorkolonialen Nahrungsmitteln und Rezepten begeben, indem sie ältere Vertreter:innen verschiedener Stämme direkt befragt haben. Literatur zum Thema ist knapp und beschränkt sich auf wenige, aber wichtige Bücher wie "Buffalo Bird Woman's Garden", das dokumentiert, wie beim Sioux-Stamm der Hidatsa gegärtnert und gekocht wurde.

Viele der authentischen Zutaten, die Sherman erfasst, kommen einem bekannt vor. In der Neuen Nordischen Küche, die zu Beginn der 2000er Jahre auch durch den Erfolg des Kopenhagener Restaurants Noma weltbekannt geworden ist, kommen auch junge Triebe und Sprossen von Nadelbäumen, wilde Pilze, Beeren, geräucherter Fisch und Fleisch von großem Wild vor. Solche Zutaten landeten in den kälteren Regionen der nördlichen Hemisphäre höchstwahrscheinlich überall im Topf, wo Menschen lange Zeit als Fischer, Sammler und Jäger gelebt haben.

Kartoffeln und andere Knollen, Kürbis, Quinoa und Amaranth sind wiederum in der Neuen Andenküche aufgewertet worden, wo sich in den letzten 20 Jahren ähnlich motivierte Spitzenköche intensiv mit der traditionellen Küche ihrer Heimat auseinandersetzen. Besonders interessant wird es bei Sean Sherman vor allem, wenn es um spezifische Zutaten und Zubereitungen aus der Region geht, in der er aufgewachsen ist.

Der Sioux Chef; © Kanon Verlag Berlin/Mette Nielsen
Bild: Kanon Verlag Berlin/Mette Nielsen

Backen ohne (Weizen)mehl

Erstaunlich ist, wie früher alles, was in der Natur vorhanden war, auf Essbarkeit und Geschmack getestet wurde: Sonnenblumenköpfe, einmal von den Kernen befreit und gegart, sollen wie Artischocken schmecken, ebenso gegessen werden die Rohrkolben, die am Wasser wachsen. Eine wahre Delikatesse sei der Pilz, der Mais bei Maisbeulenbrand befällt und woanders als Plage gefürchtet wird.

Mehl wurde früher nicht aus Weizen, sondern aus Wildreis und Mais und vor allem durch das Vermahlen von Nüssen hergestellt, u.a. aus gerösteten Eicheln oder Ahornsamen, aus Sonnenblumen- und Kürbiskernen sowie aus getrocknetem Gemüse. Mit diesen glutenfreien Mehlsorten wird in den Rezepten paniert, es werden Küchlein geformt und Kekse gebacken.

In einer Küche, in der es keine Verschwendung gibt, liefert das Kochwasser von Gemüse, Knollen, Trockenfleisch und Fischresten Fonds und Reduktionen, mit denen der Geschmack anderer Speisen, deren Qualität oft schwankend ist, aromatisch verstärkt wird. Ein Verfahren, das auch in der modernen gehobenen Küche üblich ist.

Dass Dörren von Fleisch, Obst und Gemüse ist aus dem Bedürfnis entstanden, sie länger haltbar zu machen. Gleichzeitig bringt es einen intensiveren Geschmack mit sich, der Suppen und Eintöpfe bereichert. Wilde Beeren, Kräuter und sogar Asche – aus Gewürzen, Maiskolben oder Baumrinde – sorgen ihrerseits für Aromen, die sich von Saison zu Saison ändern.

Der Sioux Chef; © Kanon Verlag Berlin/Nancy Bundt
Bild: Nancy Bundt

Mais, Bohnen und Kürbis

Hauptprotagonistinnen der Rezepte sind aber vor allem die "Drei Schwestern" Mais, Bohnen und Kürbis. Sie weisen jeweils eine unendliche Vielfalt der Sorten auf und werden in allen Spielarten zubereitet und kombiniert. Gemeinsam mit dem Bisonfleisch sicherten sie über Jahrhunderte das Überleben vieler Stämme.

Maisbrei, bei uns Jahrhunderte lang ein Armenessen, galt in Amerika schon immer als gesundes Lebensmittel, dank eines Verfahrens, das die indigenen Völker seit Urzeiten beherrschen: die Nixtamalisation. Das Einweichen der Maiskörner mit Holzasche löst die Phytinsäure auf, so dass Nährstoffe wie Niacin (Vitamin B3) und Proteine vom menschlichen Körper aufgenommen werden können. Die Stärke wird freigesetzt, dadurch wird der Maisteig klebrig und kann verbacken oder zu Tortilla verarbeitet werden. Außerdem verliert der Mais in der leicht alkalischen Lösung eventuelle Giftstoffe und gewinnt an Aroma.

Hätten das damals die Spanier gewusst, die den Mais nach Europa gebracht haben, wäre es nicht zu Pellagra und Mangelerscheinungen gekommen. Die Nixtamalisation wird noch heute durchgeführt, und der so behandelte Körnermais findet sich im Handel mit dem Name Hominy, als feines Mehl heißt es Masa.

Zwischen Tradition und Zukunft

Die Rezepte basieren auf wenigen Zutaten, sind um einiges vereinfacht und sehen für Lebensmittel, die hier nicht so leicht zu finden sind, passenden Ersatz vor. Bisonfleisch kann beispielsweise mit Weidenrindfleisch ersetzt werden, Enteneier mit Hühnereiern. Zum Kochen und Braten werden Sonnenblumenöl oder – seltener – Gänsefett verwendet. Gewürzt wird meist mit wilden Zwiebeln, Wachholderbeeren, Salbeiblättern, Sumach, Zedernadeln, wilder Bergamotte, Minze, Ahornsirup und Rauchsalz, manchmal auch mit süß-säuerlichen Wildbeerensaucen, z.B. aus Cranberries.

Sean Sherman lässt mit den Rezepten auch viele Informationen über die Bedeutung dieser Gerichte in der Alltagskultur der Stämme einfließen, in der die Achtung für die Natur und ihre Zyklen überlebenswichtig war. Auch weißt er immer wieder auf den Austausch mit anderen Köchinnen und Köchen hin, die sich wie er auf die Suche nach den kulinarischen Praktiken der indigenen Völker Nord- und Mittelamerikas gemacht haben. Von ihnen veröffentlicht er preisgekrönte Gerichte, mit denen sie aus dem Standpunkt der gehobenen Küche ihr Engagement für die Esskultur ihrer Vorfahren bewiesen haben.

Durch diesen abschließenden Teil wird das Buch zu einem kollektiven Statement und einer Liebeserklärung für eine Küche, die in der Vergangenheit zu Unrecht verdrängt wurde. Sie ist nach wie vor nachhaltig, ansprechend und gesund. Und passt daher erstaunlich gut zu den Erfordernissen und Bedürfnissen unserer Zeit.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

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