Geflammtes Marzipan nach Königsberger Art © Elisabetta Gaddoni
Elisabetta Gaddoni
Geflammtes Marzipan nach Königsberger Art | Bild: Elisabetta Gaddoni

Das tägliche Brot der Adventszeit - Bittersüß und altmodisch: Marzipan

"Das tägliche Brot der Adventszeit" wird es genannt: Marzipan. Es gehört hierzulande zur Weihnachtszeit wie Spekulatius und Lichterketten. Dabei stammt die Mandelsüßigkeit gar nicht aus dem Norden, sondern aus dem Orient. Lübeck und das ehemalige Königsberg hatten aber als Hansestädte Zugang zu Mandeln und Zucker und wurden schon Ende des 18. Jahrhunderts zu Hochburgen der Marzipankunst. Noch heute unterschiedet sich die Rezeptur der Spezialitäten beider Städte, so wie die des Marzipans aus Sizilien und aus dem spanischen Toledo.

Marzipan, Rohmasse © imago-images.de
Bild: imago-images.de

Eine Süßigkeit für festliche Tage war Marzipan schon immer: Im vermeintlichen Herkunftsland Persien sollen Mandelplätzchen das Neujahrsfest begleitet haben - allerdings nur für die Gaumenfreude von wenigen Privilegierten, wie dem Sultan von Bagdad.

Um das 10. Jahrhundert kam Marzipan nach Sizilien und Spanien, von den dort herrschenden Arabern und jüdischen Händlern mitgebracht, zusammen mit dem Rohrzucker. Noch heute ist Mazapán aus Toledo eine international bekannte Spezialität, und wer mal in Sizilien war, wird sich noch an die bunten, extrem süßen Miniaturen aus "Pasta Reale" erinnern, die überall zu kaufen sind und hyperrealistisch Obst, Gemüse, Tiere und sogar Körperteile darstellen.

Kostbares Konfekt aus dem Orient

Nach Nordeuropa kam Marzipan über Venedig, das infolge der Kreuzzüge den Seehandel mit dem östlichen Mittelmeer beherrschte. Lange Zeit war die edle und äußerst teure Delikatesse der Tafel der Reichen und Wohlhabenden vorbehalten. So wie Gewürze, Tee und Kaffee wurde auch Konfekt damals in Schachteln gehandelt, die zugleich als Hohlmaß dienten. So soll der Name dieser Schachteln - Mataban - im Laufe der Zeit auf den süßen Inhalt übertragen worden sein: Marzapane, Massepain, Marzipan.

Das ist aber nur eine der vielen Theorien, die die Herkunft dieses Namens erklären. Mauthaban soll auch der Name einer byzantinischen Münze gewesen sein, dessen Figur auch die Oberfläche von Marzipanpralinen zierte, und in Venedig, das seinen Reichtum auf dem Handel mit dem Orient baute, soll "Marzapane" das Brot des Schutzheiligen Markus bezeichnet haben ("Marci pani").

Energiekugeln zu Apothekenpreisen

Jedenfalls konnte man Marzipan lange Zeit nur in Apotheken kaufen. Der Grund: Die Pralinen aus Mandeln, Zucker oder Honig und Rosenwasser galten als Arzneimittel, als Stimulans, u.a. um matte Wöchnerinnen wieder aufpäppeln, die zugleich aber auch Gelüste erwecken konnte, die sich für gesittete Frauen nicht schickten. Das energiespendende Marzipan wurde also als gefährliches Aphrodisiakum bzw. als Luxus für wenige betrachtet, bis Zucker im 19. Jahrhundert durch die Gewinnung aus Zuckerrüben erschwinglich wurde und die Mandelkreationen ein breiteres Publikum erreichen konnten.

Gerade in dieser Zeit wurden Hafenstädte wie Lübeck und Königsberg zu Hochburgen der Marzipanproduktion. Während Lübeck nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Ruf international ausbauen konnte, mussten historische Produzenten aus dem in Kaliningrad umgetauften Königsberg in die Emigration.

Natur oder geflammt

Zu den wenigen deutschen Herstellern von Marzipan nach Königsberger Art gehört die Firma Wald in Berlin-Charlottenburg. Die Familie stammt aus Ostpreußen und betreibt einen kleinen altmodischen Laden mit angeschlossener Werkstatt. Das wunderbar altmodische Geschäft dieser kleinen Westberliner Institution am Ende der Pestalozzistraße sieht immer noch fast wie 1947 aus, als ihn die Exil-Königsberger Paul und Irmgard Wald eröffneten.

Was unterscheidet das Königsberger vom Lübecker Marzipan? Während das Lübecker Marzipan roh ist, wird Königsberger Marzipan geflammt, also unter den Grill gehalten, bis sich die Oberfläche goldbraun färbt und sich eine leicht bittere, karamellartige Geschmacksnote entwickelt. So wird auch mit dem Marzipan der spanischen Stadt Toledo verfahren, das aber zu 50 Prozent aus Zucker besteht und daher viel süßer schmeckt.

Das Flammen der Oberfläche macht das Marzipan nicht nur optisch interessanter, es gleicht auch die Süße aus, die sich aber in der Rezeptur des sogenannten Edelmarzipans ohnehin in Grenzen hält. Je wertvoller das Produkt, umso mehr Mandeln und weniger Zucker enthält es.

Harmonie von süßen und bitteren Noten

Wichtig ist auch das Verhältnis von süßen und bitteren Mandeln, die den Geschmack komplexer und interessanter machen als es beim Marzipan aus dem Supermarkt der Fall ist, bei dem fast nur Zucker, Aromastoffe und eventuell Alkohol zu vernehmen sind.

Während die geschützte Herkunftsbezeichnung die Lübecker Produzenten dazu zwingt, die genauen Zutaten anzugeben, macht die Firma Wald um die eigene Rezeptur ein großes Betriebsgeheimnis. Vor Jahren konnte ich der Inhaberin entlocken, dass nur beste Mandeln und Puderzucker in ihre Marzipanmasse hineinkämen - ohne sonstige Aromastoffe und ohne bindendes Eiweiß. Da sich heutzutage viele verschiedenen Kreationen auf der Vitrine reihen, nehme ich an, dass die ursprüngliche Rezeptur etwas angereichert wurde.

Ich bevorzuge nach wie vor das altmodische, optisch sehr ansprechend geflammte Teekonfekt, das kaum süß schmeckt und mit seiner luftig-cremigen Konsistenz im Mund schmilzt. Es schmeckt so gut, dass die Empfehlung, die frischen Produkte nicht lange zu lagern, völlig überflüssig ist ...

Marzipankartoffeln © imago-images.de

Marzipankunst hausgemacht

Marzipan herzustellen ist eine alte, komplexe Kunst, die auf gekonntem Handwerk und hervorragenden Produkten basiert. Mandelbäume brauchen Wasser und sind besonders hart von der Dürre betroffen, die Länder und Gegenden wie Spanien und Kalifornien zunehmend plagt: Von dort kommen die meisten Mandeln, die die Grundlage für Marzipan liefern. So werden Mandelprodukte von Jahr zu Jahr teurer. Aus dem Grund wird oft zu Aprikosenkernen gegriffen, die günstiger sind. Das Produkt heißt dann Persipan.

Die Herstellung von Marzipan ist komplex: Wer es zu Hause versuchen will, sollte penibel auf Hygiene achten, Handschuhe verwenden und alle Flächen sauber halten, da die Rohmasse schnell gären könnte. Das Flammen der Oberfläche ist auch etwas kompliziert: Wenige Sekunden zu viel und das Marzipan ist verbrannt. Viel einfacher ist es, fertige Marzipanrohmasse aus Mandeln und Honig in Bio-Qualität zu kaufen. Mit dieser Grundlage lassen sich leicht eigene Kreationen herstellen - ob Marzipankartoffeln, Marzipanigel oder Marzipan-Amaretti, die sich vom ganz süßen handelsüblichen Marzipan um Lichtjahre abheben.

Elisabetta Gaddoni, rbbKultur

Weitere Rezensionen