Antje Weithaas, Várjon Dénes: Beethoven - Violinsonaten 2, 4, 9 © CAvi
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Album der Woche | 18.09. - 24.09.2023 - Ludwig van Beethoven: Violinsonaten Nr. 2, 4, 9

Jeder Geiger, so Antje Weithaas, möchte gern einmal in seinem Leben alle zehn Beethoven-Sonaten spielen und auch aufnehmen. Und nun erfüllt sich die Potsdamer Geigerin mit Professoren-Verpflichtung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin diesen Wunsch und legt das erste Volume der Gesamteinspielung vor. Muss das sein?

Unzählige Aufnahmen mit Beethovens Violinsonaten liegen vor. Erdrückende 200 könnte man mal so eben im Netz bestellen. Braucht‘s wirklich noch eine? Doch schon die ersten Töne der Neuaufnahme machen klar: diese Frage ist vom Tisch. Hier spielen zwei Musiker, die ihre Beethoven-Begeisterung teilen wollen. Und können.

Der richtige Pianist

Antje Weithaas hat mit vielen versierten Pianisten in ihrer Karriere gearbeitet. Sicher hätten viele von ihnen Lust gehabt, mit ihr das Beethoven-Projekt anzupacken. Aber Antje Weithaas wusste nach einigen Konzerten genau, mit wem sie sich auf diesen Weg begibt: mit Dénes Várjon:

"Er ist ein fantastischer Pianist, der durch die 'Kurtag- Schule' gegangen ist: Jeder Ton ist da was Besonderes. Und da treffen wir uns sehr in diesem Gedanken. Und dann haben wir gemeinsam gespielt, haben festgestellt: wir müssen gar nicht viel Proben. Also natürlich proben wir, um eine Konstruktion festzulegen. Aber diese Flexibilität und die Freiheit, die man ja so schlecht proben kann – weil man es gemeinsam empfinden muss, das war von Anfang an da. Das alles gepaart, war ganz klar: es muss mit ihm sein."

Virtuoser Klavierpart

Heute kennen wir die Werke als "Violinsonaten". Beethoven hat sie aber korrekterweise als "Sonaten für Klavier und Violine" bezeichnet, mit Betonung auf das Klavier, denn der Part ist hoch virtuos und Werkprägend. Alles andere als eine Begleitung.

"Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass sogar manche Kritiker das nicht sehen. Ich habe eine Kritik bekommen, da ging es um "begleiten". Ich habe gedacht: was ist das denn? Einmal in die Noten gucken?! Ja also, wenn, dann begleitet die Geige! Aber eigentlich begleitet die Geige natürlich nicht, weil wir sind dann doch musikalisch gleichberechtigte Partner.", so Antje Weithaas.

Bloß nicht chronologisch!

Antje Weithaas hat ihre Aufnahme ganz bewusst antizyklisch nicht in das Beethoven-Jahr gelegt. Ebenso wenig ist sie an einer chronologischen Veröffentlichung interessiert. Die beiden Musiker steigen tiefgründiger in die Sonaten-Welt ein: "Wir fand es sehr spannend, unterschiedliche Werke miteinander zu kombinieren, also unterschiedliche Phasen im Leben von Beethoven miteinander zu kombinieren. Wir haben auch geschaut, wo gibt es Parallelen? Wo gibt es Dinge, die musikalisch sehr gut miteinander kommunizieren"

Antje Weithaas © Giorgia Bertazzi
Bild: Giorgia Bertazzi

Drei Mal A wie Anfang

Und so trieben vor allem diese rein musikalischen Überlegungen die Musiker zu den Werken, die in A-Dur oder a-Moll stehen. A wie Anfang einer Aufnahme-Session, die – Achtung Spoiler – auch schon komplett im Kasten ist.

Die Reise in "A" beginnt mit einer frühen Sonate, der op. 12 Nr. 2. Eine Sonate, noch ganz im Sinne Mozarts und Haydns, "unglaublich spielfreudig und lebendig, vor allem der erste und der dritte Satz. Und der zweite ist erstaunlicherweise ein a-Moll Satz, in dem auf einmal eine Tiefe reinkommt, die man in dieser spielerischen und vor Freude berstenden Musik eigentlich gar nicht erwartet.", schwärmt Antje Weithaas.

Meister der einfachen Melodien

Dem folgt die Sonate Opus 23 in a-Moll, "wo wir diese 'agitato' ersten und dritten Satz haben." Eine Sonate, in der es permanent unter der Oberfläche brennen würde, findet Antje Weithaas. "Und dann kommt ein absolut einfacher, fast schon absurd einfacher Mittelsatz, der dann auch noch in A-Dur steht." Schlichtes, musikalisches Material, das fast ein Kinderlied sein könnte, konnte Beethoven zur herzzerreißenden Melodien formen, wie kein Zweiter.

Die Gefürchtete in A

Das Zusammenspiel, die Korrespondenz der beiden Musiker ist auch in der dritten Sonate der gefürchteten, sogenannten Kreutzer-Sonate frappierend. Der Widmungsträger, Rofolphe Kreutzer, kanzelte das Werk als unspielbar ab. Die Einleitung für Violine solo ist mehrstimmig gesetzt und ist vom höchsten Schwierigkeitsgrad, technisch wie musikalisch.

Antje Weithaas hat dieses Werk so oft wie kein anderes vor Publikum gespielt. Ihr Leib- und Magen-Beethoven sozusagen. 40 intensive Minuten, die wie im Rausch vergehen. Eine Sonate voller Energie, so Antje Weithaas, "die man nicht lösen kann, sondern die wirklich bis zum Ende dableibt. Und eigentlich eine Atemlosigkeit! Und ich finde es auch wichtig, dass das bei der Interpretation rüberkommt, dass es nie gemütlich oder entspannt oder nach 'A-Dur' klingt, sondern da ist dieses ständige Pochen, dieses ständige Suchen."

Ein erzählender Sog

Das Zusammenspiel beider Musiker ist frappierend. Sie lösen ihr oben gegebenes Interpretationsversprechen ein. Satz für Satz: Bei Várjon packt jeder Ton, Weithaas antwortet mühelos brillant-markant auf absolut gleicher Wellenlänge, jede Nuance stimme. So erzählt man Musikgeschichte.

In den virtuosen Stellen ist es, als ob man mit Beethoven einen frischen, grünen Apfel um die Wette essen würde. Jeder Ton, jeder Biss knackt und macht Lust und Verlangen auf den nächsten.

Wenn es überhaupt noch eine Neuauflage der Beethoven-Sonaten geben soll, dann nur auf diesem Niveau. Volume zwei und drei dringend erwartet.

Cornelia de Reese, rbbKultur