Vor 90 Jahren: Schließung der Bauhaus-Schule in Berlin -
Bevor das Bauhaus die Ästhetik des 20. Jahrhunderts in Marcel Breuers Freischwinger setzte und mit der Wagenfeld-Lampe neu beleuchtete, erwarb sich die Akademie das Odium einer Brutstätte von Skandalen. Je nach Sichtweise und Standpunkt galt sie als schützenswertes Laboratorium einer gärenden Moderne, als Schule des neuen Denkens oder als Hort sinisterer Umtriebe. Ohne diesen früh umstrittenen Ruf hätte der spätere Erfolg vermutlich weniger weit getragen.
So aber haftet heute noch den massenkompatiblen Produkten des Bauhauses – von Marianne Brandts Teegeschirr bis zu den Meisterhäusern in Dessau – das anti-spießbürgerliche Protest-Gen der Bauhaus-DNA an. Mit dem Bauhaus wähnt man sich verlässlich auf der positiven Seite des Fortschritts und wenn schon nicht hundertprozentig im ganz richtigen Leben, so doch mindestens im richtig eingerichteten Leben zwischen den eigenen vier Wänden, obschon dort seit langem der Bauhaus-Geist aus Ikea-Talmi zusammengeschraubt ist.
Aber das frühe Bauhaus war und wollte etwas ganz anderes. Es war ein brodelnder Schmelztiegel verschiedenster und auch widersprüchlichster ästhetischer und weltanschaulich-ideologischer Gesinnungen, ein Potpourri unterschiedlichster Charaktere und Temperamente.
Gropius und seine Schüler einte eines: Sie alle wollten nach dem Krieg, der bis zu diesem Zeitpunkt für die Menschheit die größte denkbare Katastrophe war, die Fesseln der alten Gesellschaft, ihre blutigen Schlacken abwerfen, sie wollten etwas Neues, einen neuen Menschen, eine neue Gesellschaft, eine neue Kunst erschaffen – am besten gleich alles zusammen.
Von Jörg Sobiella
Regie: Wolfgang Bauernfeind
MDR 2019